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Umfeldwechsel in Europa: Wie geht es weiter für europäische Aktien?

Nicolas Wylenzek, Macro Strategist
Februar 2025
6 Min. Lesezeit
2026-02-28
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A detailed view of the earth from space with night lights

Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind diejenigen des Autors bzw. der Autorin zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Dokuments. Andere Teams können andere Ansichten vertreten und andere Anlageentscheidungen treffen. Der Wert einer Anlage kann gegenüber dem Zeitpunkt der ursprünglichen Investition steigen oder sinken. Von externen Anbietern stammende Daten werden zwar als verlässlich erachtet, doch gibt es keine Garantie für ihre Richtigkeit. Nur für professionelle, institutionelle oder zugelassene Anleger.

Meiner Meinung nach durchläuft Europa momentan einen Umfeldwechsel durch eine Kombination aus globalen und europaspezifischen Faktoren, die bedeutsame Auswirkungen auf die Finanz- und Aktienmärkte haben könnten. Zusammengefasst erwarte ich Folgendes: 

  • Europa wird interventionistischer werden und sich stärker auf inländische Märkte fokussieren, wobei Themen wie die nationale Sicherheit und Digitalisierung Priorität haben werden. Der Zielkonflikt zwischen Wachstum und Inflation ist eine Herausforderung für die Region, ich rechne aber mit strukturell höheren Zinsen aufgrund der hartnäckig hohen Inflation und einer größeren Bereitschaft, politische Prioritäten durch Staatsausgaben zu unterstützen. 
  • Aus Aktienperspektive dürfte dies meines Erachtens zu einer Rotation von Aktien mit internationalem Engagement in stärker auf das Inland fokussierte Unternehmen (mit den Peripherie-Ländern als relative Gewinner) und von Growth- in Value-Aktien führen. 
  • Insgesamt erwartete ich größere Performanceunterschiede, was attraktive Anlagechancen für aktive Investmentexperten mit einem Bottom-Up-Ansatz eröffnen könnte. Nachstehend erläutere ich die wichtigsten Merkmale dieses Umfeldwechsels. Ich gehe außerdem auf die Bereiche, die die vielversprechendsten Chancen bieten könnten, und Möglichkeiten zur Positionierung von Portfolios ein.

Internationale Ausrichtung verliert an Attraktivität

Zunehmende geopolitische Spannungen, Handelskriege und Onshoring-Trends sind große Belastungen für die Globalisierung. Wenn geopolitische Spannungen und Handelsbeschränkungen weiter zunehmen, könnte der Anteil des Außenhandels an der Weltwirtschaft allmählich sinken. Europa ist einer der großen Profiteure der Globalisierung, da die dortigen Volkswirtschaften zu den offensten der Welt zählen. Internationale Expansion und die Optimierung von Lieferketten waren wichtige Triebkräfte für die Rentabilität multinationaler Konzerne mit Sitz in Europa, besonders nach der globalen Finanzkrise, als die europäische Binnennachfrage ungewöhnlich niedrig war. 

Jetzt erscheint Europa aber besonders verwundbar. Die aktuelle Wirtschaftsflaute in Deutschland lässt sich beispielsweise zu einem großen Teil mit der jahrzehntelangen Politik erklären, den Exporten Priorität vor der Inlandsnachfrage einzuräumen. Während sich europäische Unternehmen an dieses neue, fragmentiertere Umfeld anpassen, könnte eine internationale Ausrichtung für Unternehmen immer weniger von Vorteil sein. 

Anlageimplikationen – Insgesamt dürften sich meines Erachtens auf das Inland fokussierte Sektoren und Small-Cap-Unternehmen besser entwickeln als große Exporteure, und Peripherie-Märkte sollten weiterhin eine Outperformance gegenüber Kernländern zeigen. Eine zweite Amtszeit von Donald Trump dürfte diese Veränderung noch beschleunigen. 

Strukturell höhere Inflation und Zinsen 

In dem Jahrzehnt nach der Finanzkrise konnten die Zentralbanken für ein bestimmtes Wachstumsniveau die geldpolitischen Zügel ungewöhnlich locker lassen, da es praktisch keine Inflation gab. Risikoanlagen wie Aktien profitierten massiv von diesen anhaltenden geldpolitischen Stimulierungsmaßnahmen, besonders in den USA. 

Meiner Meinung nach ändert sich dies aber nun. Trends wie die sich verlangsamende Globalisierung, verstärkte politische Interventionen, die anhaltend expansive Fiskalpolitik und eine weltweit überalternde Bevölkerung dürften zu einer strukturell höheren Inflation als in der Phase nach der globalen Finanzkrise führen. Gleichzeitig ist es möglich, dass Europa die deflationären Auswirkungen der KI später als die USA zu spüren bekommt (da Regulierungsvorschriften den Einsatz von KI in Europa verlangsamen könnten). 

Die europäischen Zentralbanken haben zwar jüngst damit begonnen, die Zinsen zu senken, um das ins Stocken geratene Wachstum wieder in Gang zu bringen, die strukturelle Veränderung der Inflationsentwicklung bedeutet aber, dass weitere Zinsentscheidungen vor dem Hintergrund der sich verschlechternden Wechselbeziehung zwischen Wachstum und Inflation in Europa abgewogen werden müssen. Ein Exportieren von Überkapazitäten durch China könnte zwar teilweise einen deflationären Ausgleich liefern, insgesamt werden die Inflation und Zinsen aber meiner Meinung nach strukturell höher bleiben.

Anlageimplikationionen – Die strukturelle Rückkehr zu positiven Zinsen sollte europäischen Aktien verglichen mit anderen Regionen zugutekommen, wobei aber bestimmte Bereiche mehr als andere profitieren dürften:

  • Value-Aktien reagieren in der Regel weniger empfindlich als Growth-Aktien auf Zinserhöhungen, da ein größerer Anteil ihrer Cashflows in der näheren Zukunft gezahlt wird. Da die Bewertungslücke zwischen Value und Growth nach wie vor extrem breit ist, sehe ich sehr viel Potenzial für Value-Aktien mit tragfähigen Geschäftsmodellen und angemessenen Verschuldungsniveaus. An den europäischen Aktienmärkten sind verstärkt Value-Aktien vertreten. 
  • Etablierte Unternehmen sollten ebenfalls profitieren, da höhere Finanzierungskosten es neuen Marktteilnehmern erschweren könnten, ihren Marktanteil auszubauen. Europa hat nur eine kleine Zahl neuer innovativer Unternehmen, aber eine große Zahl von etablierten Unternehmen, deren Geschäftsmodell durch diese Neuerungen aus dem Tritt gebracht wird. Niedrige Zinsen haben bedeutet, dass neue Unternehmen Zugang zu günstigem Kapital hatten und länger den Markt aufwirbeln konnten, ohne rentabel sein zu müssen. Höhere Finanzierungskosten würden zur Folge haben, dass die Geschäftsmodelle vieler dieser Unternehmen sehr viel weniger tragfähig sein würden.
  • Banken hatten besonders stark unter negativen Zinsen und der daraus resultierenden Belastung ihrer Nettozinsmargen zu leiden. Dies ändert sich aber nun. Die Bewertungen europäischer Banken spiegeln noch nicht die verbesserte Rentabilität des Sektors infolge gesunkener Verschuldungsniveaus und äußerst robuster Eigenkapitalquoten wider.

Eine sich verändernde Einstellung zu Staatsausgaben

Für einen Großteil des Zeitraums nach der globalen Finanzkrise konzentrierte sich Europa auf Sparmaßnahmen, die die Binnennachfrage stark belasteten. Allmählich wächst aber die Erkenntnis, dass stärker koordinierte Staatsausgaben für verschiedene Themen wie die Energiewende, Verteidigung, Deindustrialisierung und Digitalisierung erforderlich sind. Dies sind einige Beispiele für diese sich vollziehende Veränderung:

  • Die Aufnahme gemeinsamer Schulden –Um die Wirtschaft nach der COVID-Pandemie zu unterstützen, legte die Europäische Union das Wiederaufbauprogramm NextGenerationEU auf. In dessen Zentrum steht die Aufbau- und Resilienzfazilität – ein Instrument zur Bereitstellung von Finanzhilfen und Darlehen zur Unterstützung von Reformen und Investitionen in EU-Mitgliedstaaten in einem Wert von 723,8 Mrd. Euro. Damit hat die EU zum ersten Mal auf eine Wirtschaftskrise mit einem großen Konjunkturpaket reagiert, das deutlich länger als die ursprüngliche Notlage andauert. Das Kapital wird bis mindestens 2026 zur Verfügung stehen. Ein vergleichbares Nachfolgeprogramm ist zwar vorerst nicht abzusehen, fiskalpolitische Unterstützung für spezifische Bereiche wie die Verteidigung wäre aber durchaus denkbar. 
  • Flexiblere Haushaltsregeln – EU-Länder sind vertraglich verpflichtet, ihre Haushaltsdefizite innerhalb von 3% des BIP und ihre Staatsverschuldung innerhalb von 60% des BIP zu halten. Diese Vorschriften wurden aber kürzlich angepasst, um Ländern mehr Flexibilität und Zeit für die Einhaltung zu verschaffen, wenn sie Wirtschaftsreformen durchführen und wichtige Initiativen wie die Energiewende vorantreiben. 
  • Mehr haushaltspolitische Flexibilität in Deutschland – Durch die selbst auferlegte Schuldenbremse darf Deutschland maximal ein Haushaltsdefizit von 0,35% des BIP (in Abwesenheit externer Schocks) aufweisen. Ich gehe aber davon aus, dass es angesichts des wachsenden Investitionsbedarfs nach der nächsten Bundestagswahl Änderungen an der Schuldenbremse gibt.

Ein stärker durch Interventionen geprägter Ansatz aufgrund von nationalen Sicherheitsbedenken 

Im Gegensatz zu den USA haben Politiker in Europa bislang selten die „nationale Sicherheit“ als Grund für politische Entscheidungen angeführt. Dies verändert sich aber nun aufgrund von Lieferkettenproblemen während der Pandemie, der Energiekrise und der Invasion der Ukraine durch Russland sowie infolge steigender geopolitischer Spannungen. Energieunabhängigkeit, robuste Verteidigungsfähigkeiten, widerstandsfähige Lieferketten und Zugang zu essenziellen Ressourcen sind nun wichtige politische Ziele für die Entscheidungsträger auf europäischer und nationaler Ebene. Diese neuen Prioritäten dürften sich in einer stärker durch Interventionen geprägten Politik niederschlagen, mit großen Veränderungen in Bezug auf Subventionen und regulatorischer Unterstützung für wichtige Branchen. 

Anlageimplikationen – Diese Bereitschaft, sowohl Staatsausgaben als auch gezielte politische und regulatorische Interventionen zu nutzen, wird Gewinner und Verlierer hervorbringen. Verteidigungsunternehmen, Telekommunikationsanbieter (das Digitalisierungsthema) und Stromnetzbetreiber (die Energiewende) sind potenzielle Nutznießer dieses Trends. Verteidigungsunternehmen dürften am schnellsten profitieren angesichts der Dringlichkeit bei der Erhöhung der NATO-Ausgaben und der intensivierten Bemühungen der EU, die europäische Verteidigungsbranche zu stärken. 

Zunehmende Auswirkungen einer alternden Erwerbsbevölkerung 

Die Bevölkerung Europas altert rapide, und die europäische Erwerbsbevölkerung wird in den kommenden Jahren voraussichtlich schrumpfen. Dies hilft zu erklären, weshalb trotz des schwachen Konjunkturumfelds das „Horten“ von Arbeitskräften und starkes Lohnwachstum zu beobachten sind. 

Anlageimplikationen – Eine wichtige Folge der sich verändernden demografischen Bedingungen sind die erhöhten Investitionen in Automatisierung, Effizienz und Lernen, was bestimmten Unternehmen in den Bereichen Investitionsgüter und Software zugutekommen könnte.

Zugang zum nächsten „Superzyklus“

Europa hatte zwar sehr wenig mit dem aktuellen Technologie-Superzyklus zu tun, verschiedene europäische Unternehmen sind aber Marktführer in wichtigen Bereichen der Energiewende. Diese Wende könnte dank beträchtlicher fiskalpolitischer und regulatorischer Unterstützung durchaus für den nächsten Superzyklus sorgen. 

Anlageimplikationen – Manchen Schätzungen zufolge sind 42 Unternehmen in Europa, die ca. 15% der Marktkapitalisierung am europäischen Aktienmarkt repräsentieren, Marktführer in den Bereichen umweltfreundliche Energie und Nachhaltigkeit. Es genießen aber nicht alle Unternehmen, die im breiteren Energiewendebereich aktiv sind, Schutz durch hohe Markteintrittsbarrieren. Unternehmen, die Wärmepumpen und Solaranlagen liefern, haben sich beispielsweise als anfällig erwiesen. Diese Kluft zwischen Gewinnern und Verlieren sollte eine breite Spanne von Anlagechancen für aktive Investmentexperten eröffnen.

Was bedeutet das alles für die Positionierung? 

Der Umfeldwechsel in Europa wird vermutlich nicht ganz reibungslos vonstattengehen, was zwar Risiken, aber auch Anlagechancen für aktive Anleger schafft. Ich würde daher eine Strategie empfehlen, bei der sich die Kernallokation auf inländische Zyklizität (Unternehmen, die durch die Entwicklung bei europäischen Verbrauchern, im Baugewerbe und bei Banken beeinflusst werden) und Gewinnstabilität konzentriert, mit ausgewählten Allokationen in die voraussichtlichen Gewinner des stärker durch Interventionen geprägten Ansatzes in Bezug auf die nationale Sicherheit in Europa. Längerfristig würde ich Anleger auch dazu ermutigen, die potenziellen Gewinner und Verlierer des Energiewende-Superzyklus und andere wichtige Trends wie die demografische Entwicklung, durch die sich das Anlageumfeld in Europa verändert, im Blick zu behalten. 

Experte

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Nicolas Wylenzek

Macro Strategist

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