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Der Vorteil einer lokalen Perspektive: Wie geht es weiter mit Europas Banken?

Thibault Nardin, Global Industry Analyst
7 Min. Lesezeit
2025-08-31
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Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind diejenigen des Autors bzw. der Autorin zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Dokuments. Andere Teams können andere Ansichten vertreten und andere Anlageentscheidungen treffen. Der Wert einer Anlage kann gegenüber dem Zeitpunkt der ursprünglichen Investition steigen oder sinken. Von externen Anbietern stammende Daten werden zwar als verlässlich erachtet, doch gibt es keine Garantie für ihre Richtigkeit. Nur für professionelle, institutionelle oder zugelassene Anleger. 

Das derzeit weniger stabile und regional uneinheitliche makroökonomische Umfeld bietet aktiven Anlegern attraktive Bedingungen, um eine Outperformance gegenüber dem Markt zu erzielen. Die hauseigenen Analysen und einzigartigen Perspektiven unserer Global Industry Analysts (GIAs) sind wesentliche Bestandteile unseres aktiven Anlageprozesses.

Unter den vielen Sektoren, die unsere GIAs abdecken, ist der europäische Bankensektor einer, der vor dem Hintergrund größerer geldpolitischer Unterschiede, technologischer Umwälzungen und einer Branchenkonsolidierung mit erheblichen Veränderungen und einer zunehmenden Streuung zwischen Einzeltiteln konfrontiert ist. Unser Analyst für europäische Banken, Thibault Nardin, teilt hier seine Erkenntnisse über den Sektor und erläutert, wo er potenziell interessante Chancen für die Zukunft sieht.

Kernaussagen

  • Meiner Meinung nach ist der europäische Bankensektor ein attraktiver Sektor, in dem aktive Anleger mit fundierten Researchkenntnissen neue Anlagechancen entdecken können.
  • Eine voraussichtliche Wiederbelebung der M&A-Aktivitäten und die Auswirkungen des raschen technologischen Fortschritts dürften tiefgreifende Auswirkungen haben und zu Unterschieden bei der Wertentwicklung innerhalb des Sektors führen.
  • Ich gehe davon aus, dass sich im Zuge sinkender Zinsen die Eigenkapitalrenditen und Dividenden der Banken aus verschiedenen Ländern zunehmend auseinander entwickeln werden, was sich in einer weiteren Streuung der Aktienkurse niederschlagen dürfte.

Was steckt hinter der Outperformance des europäischen Bankensektors?

In den letzten drei Jahren haben europäische Banken den breiten europäischen Aktienmarkt um 65% übertroffen, und seit Jahresbeginn liegt der Sektor 17% über dem Gesamtmarkt.1

Der europäische Bankensektor hat sich bereits stark verändert, und weitere Veränderungen werden folgen. Nach 15 Jahren des Schulden- und Risikoabbaus und mehreren Bankenkrisen hat der Sektor die wirtschaftliche Volatilität der letzten fünf Jahre im Großen und Ganzen gut überstanden und ist meiner Meinung nach heute robuster denn je. Die Rentabilität hat sich seit 2019 fast verdoppelt, die Bilanzen sind sauber und Kapital und Liquidität sind reichlich vorhanden. Meiner Meinung nach ist das Kreditrisiko in den Bilanzen deutlich niedriger als vom Markt wahrgenommen, da risikoreiche Kredite in den unregulierten Nichtbankensektor verlagert wurden. Das bedeutet, dass die Erträge für einen längeren Zeitraum höher bleiben sollten und weniger anfällig für die kürzeren und häufigeren Konjunkturzyklen sind, die wir in Zukunft erwarten.

Insbesondere die Banken im Euroraum haben in den letzten fünf Jahren deutlich besser als ihre Pendants außerhalb der Eurozone abgeschnitten, was auf die Normalisierung der Zinsniveaus und großzügige Kapitalrückführungsstrategien zurückzuführen ist. In den letzten ein, drei und fünf Jahren gehörten die Korrekturen des Gewinns je Aktie der Banken zu den besten aller Sektoren im MSCI Europe, und die jüngste Erholung der Aktienmärkte hat die Gewinndynamik der Banken durch ihre Kapitalmarktaktivitäten zusätzlich unterstützt.2 Trotz der insgesamt starken Aktienperformance hat sich der Bewertungsabschlag des Bankensektors gegenüber den EU-Indizes kaum verringert und liegt aktuell bei einem Abschlag von 40% gegenüber dem STOXX Europe 600.

Wie schätzen Sie die aktuellen Chancen und Risiken ein?

Ich glaube zwar, dass die positiven Gewinnüberraschungen größtenteils hinter uns liegen – hohe Nettozinsmargen sind angesichts niedrigerer Zinsen und des Drucks auf die Banken, ihre Konditionen anzupassen, möglicherweise nicht nachhaltig –, aber eine Kombination aus anhaltend hohen Rentabilitätsniveaus und geringem Bilanzwachstum bedeutet, dass der Sektor weiterhin hohe Free-Cashflow-Renditen erzielen dürfte, was zu Aktionärsrenditen im unteren bis mittleren Zehn-Prozent-Bereich und zu einer Wiederbelebung der M&A-Aktivitäten in diesem Sektor führen sollte. Mit abnehmendem Gewinnwachstum wird der Druck zunehmen, zu konsolidieren oder neue Wachstumstreiber zu „kaufen“. Insbesondere in Italien, Spanien und Mittel- und Osteuropa sehe ich Potenzial für eine inländische Konsolidierung. Angesichts starker regulatorischer Anreize könnten Banken auch versuchen, Versicherungsunternehmen zu übernehmen.

Darüber hinaus hat die Technologie einen tiefgreifenden Einfluss auf die Art und Weise, wie Verbraucher mit Banken und deren Produkten interagieren. Steigende Zinsen haben die Kapitalkosten für Fintechs erhöht, während die Rentabilität traditioneller Banken ihre Fähigkeit, in Technologie zu investieren, erheblich verbessert hat. Die „industrielle Revolution“ der KI wird zweifellos die langfristige Effizienz von Banken verbessern, aber auch das Bewusstsein der Kunden schärfen und die Fähigkeit der Banken verringern, von der Trägheit ihrer Kunden zu profitieren. Dies wird wahrscheinlich Gewinner und Verlierer hervorbringen, und die Fähigkeit, die Managementteams zu identifizieren, die sich am besten anpassen können, wird der Schlüssel zur Erzielung langfristiger Zusatzerträge sein.

Im Hinblick auf mögliche Problemfelder sehe ich das Hauptrisiko für den europäischen Bankensektor im politischen Umfeld, das durch hohe Haushaltsdefizite und eine erhebliche Staatsverschuldung in Europa geprägt ist. In diesem Umfeld steigt das Risiko einer sektoralen Besteuerung und einer „Verdrängung“ der Angebote von Banken, da die Verfügbarkeit von Finanzmitteln für private Investitionen reduziert wird, während die Regierungen versuchen, Haushaltslöcher zu stopfen und Kleinanleger mit Angeboten für Staatsanleihen zu ködern. Darüber hinaus kann die vorherrschende politische Unsicherheit die Bewertungen trotz solider Fundamentaldaten vorübergehend belasten, wie sich jüngst in Frankreich gezeigt hat.

Auch die regulatorischen Rahmenbedingungen beobachte ich sehr genau. Beispielsweise könnten die jüngsten Probleme im Schweizer Bankensektor dort für eine Verschärfung der Regulierungsvorgaben sorgen. Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA hat zwar zusätzliche Befugnisse erhalten, steht aber meines Erachtens nun vor der schwierigen Aufgabe sicherzustellen, dass etwaige zusätzliche regulatorische Anforderungen die international tätigen Schweizer Banken nicht gegenüber ihrer globalen Konkurrenz benachteiligen. Im Falle eines Wahlsiegs von Donald Trump könnte dieses Risiko meiner Ansicht nach akuter werden, da eine republikanische US-Regierung wahrscheinlich versuchen würde, den regulatorischen Rahmen für heimische Banken zu lockern.

Welche Auswirkungen wird das Zinsumfeld haben?

Die Zinsen sind natürlich nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der Debatte. Europäische Finanzwerte waren häufig ein starker Sektor für die Generierung von Alpha. Ich weise Kunden gerne darauf hin, dass es in Europa 44 Länder gibt und dass die 44 Bankensektoren alle unterschiedlich funktionieren. Dies ist zwar der wirtschaftlichen Effizienz in Europa nicht gerade förderlich, bietet aber erhebliches Potenzial für das Entdecken von Fehlbewertungen und Abweichungen bei den Fundamentaldaten. Ich gehe davon aus, dass sich im Zuge sinkender Zinsen die Eigenkapitalrenditen und Dividenden der Banken aus verschiedenen Ländern zunehmend auseinander entwickeln werden, was sich in einer weiteren Streuung der Aktienkurse innerhalb des Sektors niederschlagen dürfte.

Banken mit einer höheren Aktivasensitivität (in der Regel iberische, italienische, griechische und irische Banken), die aufgrund der kürzeren Laufzeiten ihrer Aktiva im Vergleich zu ihren Passiva anfälliger für Zinssenkungen sind, haben im bisherigen Jahresverlauf davon profitiert, dass die Zinsen über einen längeren Zeitraum hinweg erhöht geblieben sind (Abbildung 1), und weisen kurzfristig die höchsten Free-Cashflows auf. Sie befinden sich jedoch auf dem Höhepunkt ihrer Rentabilität und haben in den letzten Monaten die stärksten Bewertungsanpassungen durchlaufen. Banken mit einer höheren Passivasensitivität (in der Regel Banken in den Benelux-Ländern, Frankreich, Deutschland und Großbritannien) weisen dagegen eine schwächere Gewinndynamik auf, und die Free Cashflows befinden sich am Tiefpunkt oder in der Mitte des Zyklus. Ich bin jedoch der Ansicht, dass sie in einem Umfeld sinkender Zinsen mit einem höheren Gewinnwachstum und einer robusten Rentabilität rechnen können. Aus diesen Gründen gehe ich davon aus, dass das Risiko-Rendite-Profil von Banken mit einer höheren Passivasensitivität in den nächsten drei bis fünf Jahren besser sein wird als das ihrer aktivasensitiven Pendants.

Abbildung 1
Aktivasensitive Banken haben sich besser entwickelt als passivasensitive Banken, aber dies konnte sich in einem Umfeld sinkender Zisen andern

Abschließende Überlegungen

Es ist eine spannende Zeit, als Analyst im europäischen Bankensektor tätig zu sein – in einem Umfeld, das von ständigem Wandel und zunehmender Streuung geprägt ist. Meiner Meinung nach liefert der Sektor weiterhin attraktive Bedingungen für aktive Investmentexperten, die über die nötige Research-Expertise verfügen, um die voraussichtlichen Gewinner von den Verlierern zu unterscheiden.

1STOXX Europe 600 Index gegenüber dem STOXX Europe 600 Banks Index zum 26. Juni 2024 | 2Stand der Daten: 26. Juni 2024

Experte

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Thibault Nardin

Global Industry Analyst