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Können die Zentralbanken ihre Unabhängigkeit bewahren?

John Butler, Macro Strategist
5 Min. Lesezeit
2025-09-30
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Die hierin enthaltenen Ansichten sind die des Autors bzw. der Autorin, basieren auf verfügbaren Informationen und können ohne vorherige Ankündigung Änderungen unterliegen. Einzelne Portfoliomanagementteams können unterschiedliche Ansichten vertreten und für verschiedene Kunden unterschiedliche Investitionsentscheidungen treffen. Von externen Anbietern stammende Daten werden zwar als verlässlich erachtet, doch gibt es keine Garantie für ihre Richtigkeit. Alle Anlagen sind mit einem Risiko verbunden. Die Anlagemärkte sind mit wirtschaftlichen, regulatorischen, politischen und an die Marktstimmung geknüpften Risiken verbunden. Anleger sollten stets die möglichen Risiken für ihr Kapital in Betracht ziehen, bevor sie eine Anlageentscheidung treffen.

In den vergangenen Jahrzehnten war es eine lohnende Anlagestrategie, das Verhalten der Zentralbanken genau zu verfolgen und sich entsprechend zu positionieren. Deshalb werden inzwischen ganze Expertengruppen beschäftigt, um jedes Wort der Zentralbankvertreter zu analysieren und sich in Bezug auf ihre nächste Entscheidung einen kleinen Vorteil zu erarbeiten, anstatt zu versuchen, das breitere Umfeld zu verstehen. Diese Strategie könnte nun aber meines Erachtens ausgedient haben, da die zukünftige Geldpolitik weniger vorhersehbar sein dürfte. Zentralbanken könnten angesichts des schwierigen Balanceakts zwischen einer strukturell höheren Inflation und wachsender Kontrolle durch die Politik zunehmend dazu tendieren, ihre Inflationsziele zur Unterstützung des Wachstums, der Beschäftigung und sogar aus fiskalpolitischen Überlegungen flexibler zu handhaben. Wie viel flexibler ist zwar noch unklar, Anleger werden sich aber meiner Meinung nach an mehr Ungewissheit und Zyklizität gewöhnen müssen, ganz besonders in Europa.

Die Politik der Geldpolitik 

Der Fokus der Zentralbanken verlagert sich momentan von der Inflationsbekämpfung auf Sorgen über das Konjunkturwachstum und die Beschäftigungslage. Derzeit beschäftigt sich der Markt mit der Frage, wie viele Zinssenkungen aus diesem Kurswechsel resultieren werden, meiner Ansicht nach sind die Folgen aber sehr viel weitreichender. Die Zentralbanken lockern die Geldpolitik, obwohl die Kerninflation in den meisten Ländern immer noch deutlich über ihren jeweiligen Zielwerten liegt, während sich die Arbeitslosenquoten nach wie vor unweit historischer Tiefstände befinden. Angesichts des offensichtlichen Zögerns, die nötigen Maßnahmen zur ergreifen, um die Inflation wieder auf den jeweiligen Zielwert zurückzuführen, bin ich mir recht sicher, dass die Weltwirtschaft am Anfang eines langfristigen Aufwärtstrends für die Inflation steht. Ich sehe verschiedene strukturelle Gründe für diesen Anstieg, eine wichtige Erklärung ist aber die Tatsache, dass das seit Mitte der 1990er Jahre bestehende geldpolitische Umfeld allmählich Auflösungserscheinungen zeigt.

Die Zentralbanken sitzen drastisch ausgedrückt in der Falle. Und das haben sie sich selbst zuzuschreiben. Bei ihrem Kampf, das Deflationsrisiko zu eliminieren, haben sie im Grunde genommen als fiskalpolitische Institution agiert. Der Kauf von Staatsanleihen und in einigen bemerkenswerten Beispielen das Senken der Zinsen in den negativen Bereich sind fiskalpolitische und nicht geldpolitische Entscheidungen mit massiven gesellschaftlichen Konsequenzen. Durch diese Entscheidungen nicht demokratisch gewählter Funktionäre hat sich das Wohlstandsgefälle vergrößert, da die Anlagepreise stiegen und das reale Wachstum und die Produktivität stagnierten. Darüber hinaus haben die Zentralbanken – nach den erfolgreichen Maßnahmen in Reaktion auf die COVID-Pandemie – erst spät den damit verbundenen Anstieg der Lebenshaltungskosten und die unverhältnismäßig starken Auswirkungen auf einkommensschwache Haushalte wahrgenommen. Als sie endlich in Aktion traten, geschah dies in erster Linie über Zinserhöhungen anstelle des Verkaufs der von ihnen angehäuften Anlagen. Hierdurch entstand die Wahrnehmung, dass die Zentralbanken sich dafür entschieden hatten, dies auf dem Rücken der Durchschnittsbürger anstatt auf Kosten der kleinen Auswahl von Personen, die am meisten von diesem Umfeld profitiert hatten, auszutragen. Momentan können wir die politischen Konsequenzen dieser Maßnahmen in einem Großteil der Industriestaaten beobachten.

Die Zentralbanken werden behaupten, sie hatten keine Wahl und dass die Alternative viel schlimmer gewesen wäre. Darin steckt zwar einiges an Wahrheit, allerdings wird außer Acht gelassen, dass nicht demokratisch gewählte Institutionen nicht ohne Konsequenzen die Schwelle zur Fiskalpolitik überschreiten können. Hierdurch ändern sich die Wahrnehmungen. In der Zukunft werden Regierungen enger in die Zentralbankpolitik involviert sein wollen, da sie im Hinblick auf nicht gewählte Funktionäre, die sich zu weit in den fiskalpolitischen Bereich bewegen, misstrauisch sind.

Angesichts dieser politisch angespannten Situation dürften nur wenige Zentralbanken mutig genug sein zuzugeben, dass eine höhere Arbeitslosigkeit erforderlich wäre, um die Lohn- und Inflationsentwicklung niedrig zu halten. Diesbezüglich wäre mit heftigem politischen Gegenwind zu rechnen, besonders in einem Wahljahr. Die Zentralbanken dürften daher sehr sensibel auf erste Anzeichen für einen Anstieg der Arbeitslosigkeit reagieren, selbst wenn (worauf unsere Analysen hindeuten) die zur Stabilisierung des Lohnwachstums nötige Arbeitslosenquote gestiegen ist.

Wenn eine Zentralbank aufhört, Entscheidungen auf der Basis von Wahrscheinlichkeiten zu treffen, sondern stattdessen miteinander in Konflikt stehende „Kosten“ gegeneinander abwägt, ist sie nicht länger wirklich unabhängig. Wir beobachten eine stillschweigende Politisierung der Geldpolitik: Dies ist bereits vor langer Zeit in Japan geschehen und passiert nun auch in anderen Ländern, wenn auch auf weniger subtile Art und Weise, da sich die Aufgabenbereiche der Zentralbanken erweitert haben. Beispielsweise haben sich ihre Reihen mit ehemaligen Mitarbeitern von Finanzministerien gefüllt. Darüber hinaus macht es durchaus Sinn für Zentralbanken, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, um einer stärkeren Kontrolle durch die Politik zu entgehen.

Europa befindet sich im Zentrum dieses Umfeldwechsels

Diese neue Herausforderung für die Zentralbanken ist möglicherweise in Europa am akutesten. Die Europäische Zentralbank (EZB) musste sich mit dem kompliziertesten politischen Umfeld auseinandersetzen, da sie die Geldpolitik von 20 demokratisch gewählten Mitgliedern der Eurozone beaufsichtigt. Die quantitativen Lockerungsmaßnahmen der EZB haben zwar möglicherweise die Eurozone gerettet, es gibt aber vermutlich nur wenig Wähler, die das verstehen, und noch weniger, die von dem Anstieg der Anlagepreise direkt profitiert haben. Zudem haben diese Maßnahmen der EZB anders als die der US-Notenbank funktioniert und letztendlich europäische Sparer dazu gebracht, ihre Ersparnisse außerhalb der Region anzulegen, insbesondere in den USA. Europäische Regierungen sehen es außerdem nicht gerne, dass die EZB damit beginnt, ihre Staatsanleihen zu einem Zeitpunkt zu verkaufen, wenn diese Länder eine lange Liste von Prioritäten für Inlandsausgaben – von der Verteidigung bis zur Sozialfürsorge – haben, die finanziert werden müssen.

Die kürzlich durchgeführten Parlamentswahlen in Frankreich sind nur das jüngste Anzeichen dafür, dass die politische Landschaft in Europa für die geldpolitischen Entscheidungsträger immer schwieriger zu navigieren ist. Eine Mehrheit der französischen Wähler scheint sich gegen eine weitere europäische Integration und Haushaltskonsolidierung ausgesprochen zu haben. Infolgedessen sieht sich das Land nun mit einer schwer zu lösenden politischen Pattsituation konfrontiert. Angesichts der sich verschlechternden Haushaltslage Frankreichs könnten es die Märkte letztlich mit der Angst zu tun bekommen. In einem solchen Szenario stünde die EZB vor einem kaum lösbaren Dilemma. Lässt sie die Anleiherenditen immer weiter steigen oder interveniert sie nach einer schmerzhaften Phase, um die Anleiherenditen für Frankreich und andere betroffene Mitgliedstaaten zu senken? Beide Entscheidungen wären politisch. Sowohl die Vergangenheit als auch die aktuellen politischen Bedingungen legen nahe, dass die EZB den Fokus auf das Kreditrisiko auf Kosten einer höheren Inflation legen dürfte.

Anlageimplikationen

Die Zentralbanken sind nicht mehr wirklich unabhängig, seit sie damit begonnen haben, mit der Fiskalpolitik verwobene Entscheidungen zu treffen. Ich möchte damit nicht sagen, dass die quantitativen Lockerungsmaßnahmen ein Fehler waren. Die Zentralbanken hatten diesbezüglich keine Wahl. Dadurch hat sich aber die politische Realität der Geldpolitik verändert. Der oben beschriebenen Falle zu entkommen, ist politisch schwierig und beinhaltet harte und unpopuläre Entscheidungen, besonders, falls wir mit unseren Analysen recht haben und die Entscheidungsträger zukünftig noch stärker zwischen Wachstum und Inflation abwägen müssen. Das geldpolitische Umfeld, an das wir gewöhnt sind, verändert sich hierdurch. Die Tatsache, dass die Zentralbanken einen Erfolg bei der Inflationsbekämpfung vermelden können, ohne klare Anzeichen dafür, dass die wirtschaftliche Unterauslastung zunimmt, zeigt diese Verlagerung. Dies legt nahe, dass die Inflationsziele in den meisten Ländern mehr wie die untere Grenze einer Spanne betrachtet werden sollten.

Es wird dauern, bis sich die Anleger an diese strukturelle Veränderung in der Geldpolitik angepasst haben, so wie Mitte der 1990er, als sich die Märkte an den starken Inflationsrückgang anpassen mussten. Die Markterwartungen zur langfristigen Inflation bewegen sich in den meisten Ländern immer noch um 2%. Ich halte das für zu niedrig. Im Lauf der Zeit wird der Markt seine Erwartungen noch oben anpassen müssen, mit einem größeren Unsicherheitsfaktor. Dies wird eine mittelfristig höhere Inflation, aber auch stärkere Zyklusausschläge zur Folge haben. Und im Zentrum dieses Umfeldwechsels steht Europa.

Experte

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John Butler

Macro Strategist

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