DIE ZINSPERSPEKTIVE:
Höher für länger – was bedeutet das konkret?
Seit die Zinsmärkte Anfang 2022 erstmals durch den Inflationsschock erschüttert wurden, haben wir uns darauf konzentriert zu verstehen, was die Inflation antreibt und wie die Politik auf dieses Preisphänomen reagiert. Anfang 2024 gingen wir davon aus, dass das Disinflationsthema die Marktstimmung dominieren würde und als Folge weltweit mit Zinssenkungen zu rechnen sein sollte. Diesbezüglich lagen wir zwar richtig, und in den meisten Teilen der Welt wurde die Geldpolitik gelockert, jetzt ist unseres Erachtens aber angesichts politischer Richtungswechsel und einer potenziell volatilen Marktentwicklung Vorsicht angeraten.
Diese vorsichtige Haltung dürfte 2025 sinnvoll sein, wenn die Kuponneinnahmen aus Staatsanleihen dazu beitragen könnten, eine potenzielle Zinsvolatilität abzufedern. Die Ausgangslage mit einem hohen globalen nominalen Wachstum sollte die Auswirkungen eines möglicherweise weltweiten Konjunkturabschwungs dämpfen. Derzeit erwarten wir keine Rezession und daher auch keine Zunahme bei den Ratingherabstufungen und Ausfällen. Unseres Erachtens entschädigen außerdem die momentan hohen laufenden Renditen die Anleger angemessen für die erhöhte Volatilität. Die Ausnahme bildet hier das lange Ende der Kurve, da Anleihen mit langer Laufzeit mit Herausforderungen durch die Angebotsdynamik, die Inflationserwartungen und das höhere nominale Wachstum konfrontiert sind.
Da geopolitische Spannungen die Märkte zusätzlich verunsichern, wird die Reaktionsfunktion der politischen Entscheidungsträger auf die Probe gestellt. Unseres Erachtens werden die verschiedenen Regierungen auf exogene Schocks weiterhin mit höheren Ausgaben reagieren und hierzu sogar regelrecht gezwungen sein. Nach der US-Wahl, vor den Neuwahlen in Deutschland Anfang 2025 und angesichts der Bemühungen Chinas zur Belebung der schwächelnden Wirtschaft ist eine klare Prognose in Bezug auf die politische Richtung (und mögliche Zölle) schwierig. Thematisch betrachtet würden wir aber höhere Handelsbarrieren durch Zölle sowie erhöhte Staatsausgaben, insbesondere im europäischen Verteidigungsbereich, erwarten. Die Zinsen dürften sich zwar innerhalb einer festen Spanne bewegen, es besteht aber ein Aufwärtsrisiko, wenn die Unruhe an den globalen Märkten steigt und diese auf lokale Entwicklungen reagieren.
Die Reaktionsfunktion der Zentralbanken auf dem Prüfstand
Das weltweite Wiedererstarken der Wechselbeziehung zwischen Wachstum und Inflation ist nicht nur ein wichtiger Stresstest für die Marktteilnehmer, die im vergangenen Jahr mit bedeutsamen exogenen Schocks umgehen mussten, sondern hat uns auch Einblicke in die Reaktionsfunktion der politischen Entscheidungsträger geboten. Demnach sind die Regierungen bemüht, die Verbraucher gegen einen punktuellen Anstieg der Arbeitslosigkeit abzuschirmen, während die Zentralbanken die Leitzinsen ausgehend von den derzeit „restriktiven“ Niveaus senken möchten, auch wenn die Kombination dieser Maßnahmen eine hartnäckigere Inflation bedeutet.
Die neue fiskalpolitische Realität: Ausgaben, Ausgaben, Ausgaben
Die Wiederwahl von Donald Trump dürfte zugrunde liegende Trends wie ein geringeres Arbeitskräfteangebot und eine sich verschlechternde Haushaltslage beschleunigen. Die US-Notenbank Fed könnte zwar ihren Zinssenkungszyklus schneller als erwartet verlangsamen, wir rechnen aber mit Volatilität bei der Marktbewertung zukünftiger Zinssenkungen. Das bedeutet, dass weiterhin mit hohen Renditen für Staatsanleihen zu rechnen ist, die bei Anleihen mit langer Laufzeit sogar noch steigen könnten. Auf globaler Ebene erwarten wir, dass Regierungen weiterhin die Anleihemärkte anzapfen werden, um einer stetig wachsenden Zahl von haushaltspolitischen Verpflichtungen nachzukommen, von höheren Verteidigungsausgaben bis zu Kapitalanlagen und einer Verbesserung der Klimaresilienz. Die ersten zwanzig Jahre dieses Jahrhunderts wurden durch langfristige Trends dominiert, die sich als disinflationär erwiesen und sich nun (teilweise) durch die Deglobalisierung und eine alternde Bevölkerung umgekehrt haben.
- Mit Blick auf die USA dürften die Positionen in der neuen Trump-Regierung relativ bald nach der Amtseinführung im Januar besetzt sein, was uns mehr Klarheit darüber verschaffen sollte, in welchem Umfang die von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen in Bezug auf Zölle, Steuern und die Begrenzung der Einwanderung umgesetzt werden. Derweil beobachten wir die Berufungsliste in wichtigen Bereichen wie dem National Economic Council (NEC), dem Finanzministerium, dem Handelsministerium und in Bezug auf den US-Handelsbeauftragten. Die Fed dürfte zwar die Zinsen weiter senken, da die USA bei der Inflationsbekämpfung vermutlich die meisten Fortschritte gemacht haben, es besteht aber ein echtes Risiko, dass reflationäre politische Maßnahmen die Fortschritte verlangsamen und erforderlich machen werden, dass die Zinsen für einen längeren Zeitraum erhöht bleiben.
- In der Eurozone gehen wir davon aus, dass die politische Reaktion auf direkte exogene Schocks (wie Zölle) nach einer kurzen Phase mit einer ungewöhnlichen Geschlossenheit und Dringlichkeit rund um die doppelte Herausforderung der COVID-Pandemie und der Energiekrise wieder zu dem bekannten Muster einer langwierigen Entscheidungsfindung und Kompromissbildung zurückkehrt. Mit der Einführung der neuen Haushaltsregeln der Europäischen Kommission dürfte es nur begrenzten Spielraum für die Eurozone und andere EU-Länder geben, um auf neue Zölle mit bedeutsamen Staatsausgaben oder einer geschlossenen Reaktion für den gesamten Währungsblock zu reagieren. Dies kommt zu einer Zeit, in der einige der größeren EU-Länder anfällig wirken. Im Gegensatz zu den USA sehen wir bei europäischen Renditen Abwärtsdruck, weshalb die Europäische Zentralbank unter Umständen intervenieren und die Zinsen schneller als vom Markt eingepreist senken muss.
- Im Vereinigten Königreich haben eine hartnäckige Inflation und ein wachsendes Haushaltsdefizit bereits dafür gesorgt, dass die Märkte ihre Zinssenkungserwartungen reduziert haben. Falls sich der Zyklus angesichts eines robusten Arbeitsmarkts, einer hartnäckigen Kerninflation und einer Belebung der Aktivitäten am Wohnimmobilienmarkt weiterhin als widerstandsfähig erweist, besteht durchaus ein Risiko, dass sich die Entwicklung britischer Staatsanleihen abkoppeln könnte und diese verglichen mit ihren europäischen Pendants einen Anstieg zeigen.
- In Japan dürften die Renditen am kurzen Ende bis zum Sommer stetig in Richtung des 1%-Ziels der Bank of Japan steigen, da die Deflationsrisiken nun eindeutig einem Reflationsthema gewichen sind aufgrund des positiven Lohnwachstums, der importierten Inflation und von Veränderungen beim Verbraucherverhalten.
- In China, ein Markt der nach wie vor eine andere Entwicklung als der Rest der Welt zeigt, haben die politischen Entscheidungsträger noch keine entschiedene Reaktion auf eine ausgeprägte Bilanzrezession gezeigt, weshalb wir mit weiterhin niedrigen Zinsen rechnen. Der Fokus scheint bislang auf einem Abbau der Verbindlichkeiten auf lokaler Regierungsebene zu liegen, was Wohnimmobilien zu einer weniger spekulativen Anlage macht, sowie auf exportgetriebenem Wachstum. China könnte weltweit eine potenziell deflationäre Wirkung haben.
Unterschiedliche Entwicklungen: Implikationen für Anleger
Im Zuge einer erhöhten Volatilität könnte Divergenz auch bei geldpolitischen Entscheidungen ein Thema werden. Dies ist zwar schon seit Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen, es gibt aber einen Präzedenzfall (die 1970er Jahre) für längere Phasen, in denen Zentralbanken bei der Geldpolitik einen unterschiedlichen Kurs verfolgten. Da die Wechselbeziehung zwischen Wachstum und Inflation immer stärker lokal geprägt ist, könnten die Zinsmärkte zunehmend sensibel auf nationale Zyklen anstelle des globalen Zyklus reagieren. Unseres Erachtens haben die Anleger das noch nicht eingepreist.