Mit Blick auf die zweite Hälfte des Jahres 2024 hat sich die Erwartung einer harten Landung in die Erwartung einer weichen Landung oder vielleicht gar keiner Landung gewandelt. Die hohe Marktkonzentration bleibt jedoch eine Herausforderung. Die globalen Aktienmärkte zeigen eine zunehmende Konzentration – nicht nur nach Einzeltiteln, sondern auch nach Sektoren und Faktoren. Dies wirft Fragen in Bezug auf Diversifizierung und Risikomanagement auf.
Wie sollten sich Anleger in einem engen Markt aufstellen? Mehr als nur Long-Only-Ansätze in Betracht zu ziehen, kann eine Möglichkeit bieten, der hohen Konzentration entgegenzuwirken. Darüber hinaus sind wir in diesem Umfeld nach wie vor der Meinung, dass die Qualität eine wichtige Rolle spielt. In der Zwischenzeit beobachten wir genau, welche Faktoren die Marktbreite erhöhen und welche Chancen sich daraus ergeben könnten.
Mit Blick auf den weiteren Jahresverlauf analysiert Macro Strategist Nicolas Wylenzek den strukturellen Hintergrund, während Equity Strategist Andrew Heiskell erläutert, welche Anlagechancen Aktienanleger seiner Meinung nach im Auge behalten sollten.
Die Regionen im Überblick
Global
In der ersten Jahreshälfte erzielten globale Aktien attraktive positive Erträge, wobei die meisten Märkte an der Rally teilnahmen. Dies ist vor allem auf die Erholung des Weltwirtschaftswachstums zurückzuführen: Die globalen Einkaufsmanagerindizes (PMI) zeigen, dass sich die Geschäftslage sowohl im Dienstleistungssektor als auch im verarbeitenden Gewerbe deutlich verbessert hat.
Die USA waren 2023 der wichtigste globale Wachstumsmotor. In der ersten Hälfte dieses Jahres zeigen die PMI-Daten jedoch, dass sich diese wirtschaftliche Dynamik über die USA hinaus auf Europa und China ausgeweitet hat, was durch eine breit basierte Erholung bei den Auftragseingängen sowohl im Dienstleistungssektor als auch im verarbeitenden Gewerbe deutlich wird. Dieser Trend dürfte sich im weiteren Jahresverlauf fortsetzen und könnte ein positives Umfeld für globale Risikoanlagen schaffen. Besonders attraktiv könnten Sektoren sein, die bisher hinter der Rally der letzten beiden Jahre zurückgeblieben sind, z.B. renditeträchtige Aktien und Sektoren mit stabilen und steigenden Dividenden sowie eher „frühzyklische“ Bereiche wie Small Caps und die Emerging Markets.
USA
US-Aktien konnten ihre globalen Pendants in den letzten sechs Monaten erneut übertreffen, da die US-Indizes weiterhin von einem hohen Anteil wichtiger Unternehmen im Bereich der künstlichen Intelligenz profitierten. Dies bedeutet jedoch auch, dass die Performance nach wie vor stark konzentriert ist. Mit Blick auf die Zukunft dürfte unseres Erachtens das attraktivste Risiko-Rendite-Profil in vernachlässigten Marktsegmenten wie Small Caps, Dividendenaktien und Value-Aktien zu finden sein. Im Falle einer stärkeren Verlangsamung der Wachstumsdynamik könnten defensivere Marktbereiche – wie die bereits erwähnten Sektoren mit stabilen und steigenden Dividenden – eine attraktive Absicherungsmöglichkeit darstellen.
Japan
Die starke Performance des japanischen Aktienmarktes hat sich auf breiter Basis fortgesetzt, da globale Anleger weiterhin auf einen Strukturwandel setzen. Angesichts der im Vergleich zu den USA niedrigen Bewertungen erscheinen japanische Aktien mittelfristig nach wie vor attraktiv, zumal die Unternehmensreformen weiter im Gang sind. Kurzfristig ist jedoch mit einer gewissen Unsicherheit zu rechnen, da sich die geldpolitischen Entscheidungsträger dabei schwer tun, den Yen zu stabilisieren.
Europa
Europa hat in Bezug auf das Thema künstliche Intelligenz zwar deutlich weniger vorzuweisen, europäische Aktien haben aber von einem Goldlöckchen-Szenario mit beschleunigtem Wachstum und Disinflation profitiert. Wenn dieses Umfeld in Europa anhält, dürfte die Region weiterhin Aufwärtspotenzial bieten, und eine sehr fokussierte europäische Strategie könnte Potenzial für ein attraktives Risiko-Rendite-Verhältnis bieten. Die bevorstehenden Parlamentswahlen in Frankreich sorgen jedoch für große Unsicherheit in Bezug auf europäische Risikoanlagen.
Vereinigtes Königreich
Die hartnäckige Inflation und die unsichere Zinsentwicklung üben weiterhin Druck auf die Bewertung britischer Aktien aus. Allerdings gehören diese inzwischen zu den günstigsten Aktien weltweit. Das Risiko-Rendite-Verhältnis ist derzeit zwar hoch, jedoch könnte ein Nachlassen der Konjunktursorgen der Anleger kurzfristig erhebliches Aufwärtspotenzial mit sich bringen, insbesondere falls der Ausgang der bevorstehenden Unterhauswahl für eine gewisse politische Stabilität sorgt.
China
Chinesische Aktien haben während des gesamten Jahres 2023 und Anfang 2024 enttäuscht, da sich die Wirtschaft des Landes nur zögerlich erholt und die Sorgen um den Immobilienmarkt zunehmen. In jüngster Zeit haben sich die Anleger wieder stärker engagiert, in der Hoffnung, dass unterstützende Maßnahmen der Politik den Immobiliensektor endlich stabilisieren und eine Erholung einleiten. Eine wirkliche Erholung hat sich bis heute jedoch noch nicht eingestellt. Wie im Vereinigten Königreich ist auch hier das Risiko-Rendite-Verhältnis hoch, dies wird aber etwas durch die gedrückte Anlegerstimmung ausgeglichen. Angesichts der wirtschaftlichen und geopolitischen Risiken rechtfertigt China unseres Erachtens einen höheren Bewertungsabschlag für Aktien als andere Regionen.
Emerging Markets (EM) ohne China
Nach 15 Jahren relativer Underperformance gegenüber den Industrieländern verdienen die häufig auch als Emerging Markets bezeichneten Schwellenländer unserer Meinung nach die Aufmerksamkeit der Anleger. Unsere Analyse zeigt, dass sich die Emerging Markets in der Frühphase des Zyklus nach einer von den USA angeführten Rezession in den Industrieländern in der Regel am besten entwickelt haben. China könnte die Performance von EM-Aktien zwar auch in diesem Jahr weiter belasten, unseres Erachtens könnten jedoch eine relativ niedrige Inflation, sich verbessernde Fundamentaldaten, niedrige Bewertungen und eine hohe Marktineffizienz attraktive Chancen für aktive Manager eröffnen.
Was wir im Auge behalten
- Die Hartnäckigkeit der Inflation in den USA: Die US-Wirtschaft verlangsamt sich merklich, die Inflationsentwicklung ist jedoch weniger eindeutig. Falls sich die Inflation parallel zur Wirtschaftsdynamik abkühlt, sollte der Markt dies als positives Zeichen werten, da die Anleger frühere und schnellere Zinssenkungen einpreisen werden. Bleibt die Inflation jedoch hartnäckig hoch, wird die US-Notenbank nur begrenzten Spielraum haben, um die Zinsen im Falle eines Abschwungs zu senken, was die Märkte eindeutig negativ bewerten werden.
- Nachhaltigkeit des europäischen Goldlöckchen-Szenarios: Die Europäische Zentralbank hat vor kurzem ihre erste Zinssenkung vorgenommen, da sich das Wachstum in Europa weiter erholt. Die Kombination aus Disinflation und einer Beschleunigung des Wachstums bietet europäischen Aktien einen erheblichen Rückenwind. Im Mai fielen die Inflationszahlen jedoch zum ersten Mal seit Monaten überraschend hoch aus, und die Märkte werden die weitere Entwicklung der Inflation in Europa sehr genau beobachten.
- Entwicklungen in China: Nach einem dreimonatigen Aufschwung haben die chinesischen Wirtschaftsdaten zuletzt ein eher gemischtes Bild gezeichnet. Die Beobachtung der chinesischen Wachstumsdynamik wird weiterhin äußerst wichtig sein, da eine nachhaltige Erholung der wichtigste Impuls für internationale Anleger sein wird, sich wieder in chinesischen Aktien zu engagieren.
Wo liegen die Chancen?
Mit Blick auf die zweite Jahreshälfte kommen uns eine Reihe von Anlagethemen in den Sinn.
1. Die Breite mag zwar noch nicht wieder da sein, dürfte aber bald zurückkehren
Die S&P-Daten für Juni zeigen, dass die Marktkonzentration den höchsten Stand seit 50 Jahren erreicht hat, und auf die sechs größten Aktien im S&P 500 entfallen nun mehr als 30% des Index. Nachdem sich die Erträge im bisherigen Jahresverlauf wieder stark auf diese Mega-Caps konzentriert haben, könnte die Breite jedoch wieder zunehmen. Wir beobachten geringere Korrelationen sowohl zwischen als auch innerhalb der Sektoren sowie eine größere Streuung, was Chancen für die Einzeltitelauswahl eröffnen könnte. Wir gehen davon aus, dass sich die Marktbreite im Laufe des Jahres 2024 mit abnehmender makroökonomischer Unsicherheit verbessern wird, insbesondere durch bessere Erträge für den „S&P 493“ (also der S&P 500 ohne die sogenannten „Glorreichen Sieben“) sowie für Aktien kleiner und mittlerer Unternehmen. Dies könnte ein idealer Zeitpunkt sein, um über eine Erhöhung der Aktienallokation nachzudenken, mit der Flexibilität, die Risiken konzentrierter Märkte zu neutralisieren, falls die Rückkehr einer ernstzunehmenden Marktbreite noch etwas länger dauern sollte.
2. In den USA sind die Kleinen wieder ganz groß
Wir gehen von einer Kombination aus bescheidenem Wachstum und einer moderaten Entwicklung der Inflation und Zinsen aus. Dies dürfte ein zunehmend günstiges Umfeld für Small- und Mid-Cap-Aktien schaffen, die im Jahr 2023 drastisch zurückgefallen und in den meisten der vergangenen 13 Jahre deutlich hinter den Indexrenditen zurückgeblieben sind. Small Caps sind im Vergleich zu Large Caps so unterbewertet wie seit der Dotcom-Blase nicht mehr.
Darüber hinaus sind die Small- und Mid-Cap-Universen zunehmend ineffizient geworden, da die Sell-Side-Researchabdeckung abnimmt, der ETF-Handel zunimmt und die Zahl der unprofitablen Small Caps im Russell 2000 Index nach dem Boom von Zweckgesellschaften für Akquisitionen (SPACs) in den Jahren 2020 bis 2021 rapide gestiegen ist. Unser Fazit: Wir erwarten eine Phase der Outperformance für Small und Mid Caps, und diese Bedingungen dürften vorteilhaft für aktive Manager sein.