Die Situation in Zusammenhang mit der breiten Verkaufswelle an den Märkten ist zwar noch nicht abgeschlossen, ich halte dies aber für einen guten Moment, um über die relevanten Auslöser und technischen Faktoren, das fundamentale Umfeld und mögliche Strategien für Anleger nachzudenken. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels standen im Verlauf der drei vorangegangenen Tage für den Nikkei ein Minus von 20%, für den Yen ein Plus von 4,5% für den S&P 500 ein Rückgang um 4%, für die High-Yield-Spreads eine Ausweitung um ca. 50 Bp. und für die 5-jährige US-Treasury-Rendite ein Rückgang um ungefähr 35 Bp. zu Buche. Mein Fazit: Die Märkte haben in Relation zu den Fundamentaldaten überreagiert.
Auslöser: Wie so oft bei massiven Verkaufswellen waren auch dieses Mal verschiedene Faktoren am Werk. Ganz oben auf der Liste standen dabei der Anstieg der US-Arbeitslosenquote von 4,1% auf 4,3%, die Zinserhöhung der Bank of Japan (BoJ) um 15 Bp. und die Angst vor einem geldpolitischen Fehler der US-Notenbank nach der Entscheidung gegen Zinssenkungen bei der Sitzung des US-Offenmarktausschusses in der vorigen Woche. Die Märkte machten sich außerdem Sorgen über Enttäuschungen bei den Gewinnzahlen einiger Megacap-Technologieunternehmen, den sich ausweitenden Konflikt im Nahen Osten und die gesunkenen Erfolgschancen von Donald Trump, nachdem Kamala Harris als designierte Kandidatin der Demokraten in das Rennen um die Präsidentschaft geschickt wurde.
Technische Bedingungen: Eine lange Phase mit stabilen positiven Markttrends kann Anleger dazu ermutigen, das Risiko zu erhöhen. Wenn dann jedoch die Volatilität in die Höhe schnellt und die Märkte die Richtung wechseln, kann dies zu Zwangsverkäufen führen, was die Marktbewegungen noch verstärken kann, da solche Verkäufe in der Regel noch mehr Verkäufe auslösen. Verkäufe durch Hedgefonds und systematische Strategien scheinen beim Umfang der aktuellen Verkaufswelle eine große Rolle gespielt zu haben. Hedgefonds haben in der letzten Zeit höhere Brutto-Leverage-Werte als normal aufgewiesen. Sogenannte „CTA“- und volatilitätsgesteuerte Ansätze, die während Verkaufswellen „automatisch“ das Risiko herunterfahren, scheinen hier eine bedeutsame Rolle gespielt zu haben. Außerdem sorgte die Aufwertung des Yen für die Auflösung von Carry Trades, bei denen der günstige Yen verkauft wird, um Anlagen in höher rentierlichen Instrumenten zu finanzieren.
Fundamentaldaten: Die Lage am US-Arbeitsmarkt hat sich zwar abgeschwächt, ist aber meines Erachtens kein Grund zur Panik. Verschiedene Indikatoren haben eine Normalisierung des Arbeitsmarkts ausgehend von überhitzten Bedingungen signalisiert, einschließlich eines Rückgangs der freien Stellen und Kündigungsraten und einer Verlangsamung bei den Einstellungsquoten und Lohnerhöhungen. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels haben 75% der Unternehmen ihre Gewinnzahlen für das 1. Quartal vorgelegt, mit positiven Überraschungen in allen Sektoren. Der Verbrauchersektor hat indes enttäuscht, da die Verbraucher, besonders niedrigere Einkommensgruppen, unter hohen Preisen leiden und ihre Ausgaben zurückschrauben. Wir beobachten Kreditkartendaten, die darauf schließen lassen, dass sich die Konsumschwäche allmählich auch auf Verbraucher mit höheren Einkommen ausweitet. Wie erwähnt wurden die Gewinne von Technologieunternehmen vom Markt genau unter die Lupe genommen und es gab hier einige Enttäuschungen, meiner Ansicht nach ist aber der langfristige Wachstumstrend bei den Gewinnen weiterhin intakt.
Anlageimplikationen
- Die Fundamentaldaten haben sich zwar etwas verschlechtert, meiner Meinung nach wurde die Verkaufswelle aber durch technische Faktoren verstärkt. Die Zentralbanken befinden sich außerdem in einer guten Position, um bei einer deutlichen Verschlechterung der Fundamentaldaten die Zinsen zu senken und die Konjunktur zu stützen. Unter dem Strich könnte dies meines Erachtens eine Gelegenheit sein, um bei Aktien und im Rentenbereich das Risiko zu erhöhen, wobei es wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass die Normalisierung der technischen Bedingungen eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen wird.
- Der Rückgang der US-Anleiherenditen könnte für eine Pause bei Long-Duration-Positionen sprechen. Angesichts der Zinssenkungen von nahezu 125 Bp., die bis zum Jahresende eingepreist sind, würde ich in Erwägung ziehen, eine neutrale Durationspositionierung einzunehmen und auf eine bessere Einstiegsgelegenheit zu warten, um das Durationsrisiko wieder zu erhöhen.
- Besonders die Verkaufswelle bei japanischen Aktien halte ich für eine Überreaktion auf die Zinserhöhung der BoJ. Ich würde dies als Chance für ein Engagement an diesem Markt sehen.
- Langfristige Überlegungen nicht aus dem Blick verlieren – Volatilität kann zwar unangenehm sein, dies sind aber auch Phasen, in denen Anleger innehalten und genau analysieren können, was sich wirklich verändert hat. Wenn sich schnell agierende Marktteilnehmer oder Strategien zu Verkäufen gezwungen sehen, kann dies eine Gelegenheit für Anleger mit mehrjährigen Anlagehorizonten bieten.