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Bei der Divergenz geht es nicht nur um die Geldpolitik

Natasha Brook-Walters, Co-Head, Investment Strategy
8 min Lesen
2025-06-30
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Alle hierin enthaltenen Meinungen sind diejenigen des jeweiligen Verfassers zum Zeitpunkt der Erstellung und können sich ohne Ankündigung ändern. Andere Teams können andere Ansichten vertreten und andere Anlageentscheidungen treffen. Dieser Inhalt dient lediglich Informationszwecken und ist nicht als aktuelle oder vergangene Empfehlung zu verstehen. Darüber hinaus ist er nicht als Anlageberatung oder Angebot zum Verkauf oder Aufforderung zum Kauf von Anteilen oder anderen Wertpapieren gedacht. Zukunftsgerichtete Aussagen sollten nicht als Garantie oder Vorhersage zukünftiger Ereignisse betrachtet werden. Nur für professionelle, institutionelle oder zugelassene Anleger.

Seit dem Ende der 1990er Jahre zog die übrige Welt, wenn in den USA eine Konjunkturwende eintrat, gemeinhin mit einer gewissen Verzögerung nach. Dementsprechend tendierten auch die Zentralbanken dazu, dem Beispiel der US-Notenbank (Fed) zu folgen. Im neuen Wirtschaftszeitalter – mit seiner erhöhten Volatilität, seiner höheren Inflation und seinen kürzeren und häufigeren Konjunkturzyklen – dürfte die konjunkturelle Entwicklung der einzelnen Länder jedoch stärker voneinander abweichen und somit unterschiedliche geldpolitische Reaktionen erfordern.

Das lässt sich bereits heute beobachten – vor allem mit Blick auf die Fed und die Europäische Zentralbank (EZB), da erstere noch immer ihre Absicht signalisiert, die Zinsen längerfristig auf höherem Niveau zu belassen, während letztere im Juni eine Zinswende einläutete. In einer Welt mit höherer Inflation und größeren Unterschieden zwischen den einzelnen Regionen rechnet unsere Investment Strategy Group weiter mit einem unterschiedlichen Kurs der Notenbanken während sie ihre Zinspolitik anpassen, um den spezifischen Inflationsherausforderungen ihrer jeweiligen Volkswirtschaften zu begegnen. Kurzum: Die Zentralbanken werden gezwungen sein, unabhängig voneinander zu agieren.

Das hat wiederum Konsequenzen für die Anleger – mit Chancen, die sich vornehmlich an den Zinsmärkten auftun. Aus unserer Sicht haben die stärker auseinanderlaufenden globalen Entwicklungen aber noch weitere Konsequenzen, die über die Zentralbankpolitik hinausgehen. In der Tat betrachten wir die geldpolitische Divergenz lediglich als eine von fünf Formen der Divergenz, die es als Anleger zu bedenken gilt.

Geopolitische Divergenz

Die erhöhten geopolitischen Risiken und die Deglobalisierung sind Teil der neuen Normalität. Internationale Konflikte, die Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und China und der fortschreitende Klimawandel werden das geopolitische und makroökonomische Umfeld prägen. Nach Einschätzung unseres auf thematische Anlagen spezialisierten Teams wird dies die Entscheidungsträger dazu veranlassen, drei verschiedenen Sicherheitsaspekten eine hohe Priorität einzuräumen: der nationalen Sicherheit, der wirtschaftlichen Sicherheit und der Ressourcensicherheit. Aus unserer Sicht könnten all diese Aspekte Einfluss auf die Ausgabenentscheidungen, die Handelsbeziehungen und die Lieferketten haben und in den in verschiedenen Ländern derzeit relevanten Wahlzyklen von Bedeutung sein.

Um die nationale Sicherheit in einem durch Wettbewerb in den Bereichen Handel, Wirtschaftspolitik, internationale Diplomatie und Militärpolitik geprägten Umfeld zu stärken, dürften die Länder ihre Verteidigungsausgaben erhöhen, was sowohl den traditionellen als auch den aufstrebenden Verteidigungssektoren langfristigen Rückenwind verleihen dürfte.

Ein stärkerer Fokus auf die wirtschaftliche Sicherheit sollte indes dazu führen, dass strategische Branchen durch politische Maßnahmen, Ausfuhrkontrollen und legislative Maßnahmen stärker gefördert und geschützt und Bereiche wie Halbleitertechnologien und künstliche Intelligenz auf nahe gelegene Standorte („Nearshoring“) oder ins Inland verlagert werden.

Nicht zuletzt erkennen die Staaten die Bedeutung von Stabilität, Unabhängigkeit und Belastbarkeit bei der Versorgung mit natürlichen Ressourcen an, wobei sowohl Energie als auch kritische mineralische Rohstoffe zu den besonderen Schwerpunkten zählen.

Aus der Sicht unseres auf thematische Anlagen spezialisierten Teams könnten diese bevorstehenden Umbrüche bedeutsame langfristige Chancen bieten, um auf regionaler, Länder-, Branchen- und Unternehmensebene Gewinner auszumachen. Natürlich geht dies nicht ohne Risiken einher: Ein größerer Konflikt hätte vermutlich unvorhersehbare Konsequenzen für alle Kapitalmärkte. Dennoch sind wir der Ansicht, dass diese thematischen Allokationen Anlegern mit dem richtigen Management eine defensivere und stärker diversifizierte Allokation innerhalb ihrer Portfolios ermöglichen können.

Divergenz auf den Märkten

Die erhöhte Volatilität, die höhere Inflation und die zunehmende Divergenz zwischen Regionen, Branchen und Wertpapieren könnten einige der Rollen, die traditionelle Anlageklassen in der Vergangenheit eingenommen haben, infrage stellen. Sollte sich die Inflation hartnäckiger als erwartet zeigen, so könnten etwa Festzinsanlagen die wichtige Diversifikationsrolle, die ihnen in der Vergangenheit gegenüber Aktienallokationen zukam, in dieser Art von Marktumfeld womöglich nicht mehr so verlässlich oder zumindest nicht so beständig erfüllen.

Damit schlagen wir aber nicht vor, gängigen Multi-Asset-Anlageansätzen wie dem 60/40-Modell den Rücken zu kehren. Vielmehr sollten Anleger unseres Erachtens die Rollen, die unterschiedliche Portfoliobausteine spielen könnten, überdenken. Des Weiteren sind wir der Ansicht, dass Portfolios mehr Widerstandskraft benötigen als in den letzten Jahren, was für eine Erhöhung der Anzahl von Risiko- und Renditetreibern spricht.

In diesem Zusammenhang könnten Hedgefonds eine hilfreiche Option für Anleger sein, die die Rolle verschiedener Portfoliobausteine neu bewerten möchten – unter dem Vorbehalt, dass Investitionen in Hedgefonds zuweilen höhere Risiken bergen. Unser Team hat ein rollenbasiertes Modell entwickelt, das veranschaulichen soll, wie verschiedene Arten von Hedgefonds in ein bestehendes Portfolio integriert werden könnten.

Makrofonds beispielsweise wetten auf makroökonomische Trends oder Veränderungen in der Wirtschaftspolitik und investieren in verschiedene Anlageklassen, was im Zuge der angesprochenen Divergenzen potenzielle Diversifikationsvorteile und einen möglichen Schutz vor Abwärtsrisiken bietet.

Divergenz bei aktiven Anlagechancen

Mehr Divergenz kann Chancen für aktive Manager entstehen lassen. Aus unserer Sicht ist die relative Effizienz der Märkte ein nützliches Instrument, um die aussichtsreichsten Bereiche zu identifizieren. Unser Fundamental Factor Team hat ein Markteffizienz-Modell entwickelt, um das Aufspüren dieser attraktiven Anlagebereiche zu erleichtern. Auf der Grundlage ihrer Analyse sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass aktive Aktienmanager am ehesten in der Lage sein dürften, Wertschöpfungspotenzial in Japan, am Small-Cap-Markt, in den Schwellenländern und bei Nicht-US-Aktien zu erschließen.

Divergenz an den Schwellenmärkten

Die Aktienmärkte der Schwellenländer oder auch Emerging Markets (EM) sind überaus vielfältig, was in einer durch Divergenz geprägten Welt umso mehr der Fall ist. Dies könnte in unseren Augen einer der Gründe dafür sein, dass quantitative EM-Strategien mit strikten Risikobeschränkungen zuletzt tendenziell eine überdurchschnittliche Wertentwicklung verzeichnet haben. Das EM-Universum ist sehr breit gefächert und wird weniger durch Sell-Side-Analysten abgedeckt, was es aus unserer Sicht zu einem vielversprechenden Bereich für die aktive Aktienauswahl macht. Auch wenn hier vermutlich noch andere Einflussfaktoren am Werk sind, könnte ein quantitativer Prozess eine gute Ergänzung für fundamentale Strategien sein.

Fazit

Die kurzfristige Dynamik der Zinsmärkte schlägt sich vermutlich schon heute in den Marktbewertungen nieder. Eine breitere Betrachtungsweise der Divergenz könnte Anlegern dabei helfen, längerfristige strukturelle Chancen ausfindig zu machen.

Experte

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Natasha Brook-Walters

Co-Head, Investment Strategy