Die Gewinne und Margen europäischer Unternehmen haben sich in den letzten Jahren überraschend robust gezeigt, und die Berichtssaison für das 2. Quartal hat erneut positiv überrascht. Unter der Oberfläche ist der Ausblick für europäische Gewinne aber meines Erachtens komplizierter als es die Schlagzeilen vermuten ließen. Was könnte das für die Anleger bedeuten und wie könnte sich dies auf die Entscheidungen der Europäischen Zentralbank (EZB) auswirken?
Verschleiern die robusten Gewinne Abwärtsrisiken?
Trotz eines sich verschlechternden Konjunkturausblicks und zunehmend vorsichtiger Unternehmensvorgaben konnte im 2. Quartal eine ungewöhnlich große Zahl europäischer Unternehmen die Gewinnerwartungen übertreffen.
Der Verlauf des globalen Zyklus wird zwar entscheidend sein, meines Erachtens bestehen aber für die europäischen Gewinne Abwärtsrisiken. Ich rechne 2024 mit einem stagnierenden Gewinnwachstum bei europäischen Unternehmen und 2025 nur noch mit einem Gewinn pro Aktie (GpA) im mittleren einstelligen Bereich (die Konsensschätzung für das GpA-Wachstum für 2025 liegt bei ca. 10%1). Dies hat potenzielle Implikationen für die EZB-Politik und die Sektorallokation. Hier sind fünf Entwicklungen, die ich beobachte:
1) Die Anzeichen mögen subtil sein, aber es steht eine Rotation bevor
Auf den ersten Blick ist die Gewinndynamik im 1. Halbjahr robust geblieben. Bei genauerer Analyse zeigt sich aber eine klare Rotation weg von den zyklischen Marktsegmenten, die in den letzten Jahren das europäische Gewinnwachstum angetrieben haben. JP Morgan zufolge haben stärker konjunkturabhängige Sektoren wie zyklische Konsumgüter und Werkstoffe das europäische Gewinnwachstum im 2. Quartal belastet.2 Diese Rotation zeigt sich auch in den USA, wo das Gewinnwachstum bei zyklischen Werten zum ersten Mal seit dem 1. Quartal 2022 hinter dem defensiver Werte zurückgeblieben ist.
2) Ein sich verlangsamender globaler Konjunkturzyklus könnte sich stärker auf die Gewinne europäischer Unternehmen auswirken als der europäische Zyklus
Ungewissheit rund um den globalen Zyklus ist ein weiterer Grund zur Vorsicht. Europäische Aktien sind außergewöhnlich international – es werden weniger als 40% des Umsatzes in Europa erwirtschaftet.3 Dadurch sind die Gewinne europäischer Unternehmen stärker vom globalen als vom europäischen Zyklus abhängig. Das aktuelle Niveau der globalen Einkaufsmanagerindizes deutet auf Abwärtsdruck für das Gewinnwachstum im nächsten Jahr hin, was sich noch verstärken könnte, falls sich die globale Wachstumsdynamik verlangsamt.
Die Unternehmensvorgaben spiegeln allmählich das schwächere globale Wachstumsumfeld wider. Vierzig europäische Unternehmen haben in der Berichtssaison für das 2. Quartal ihre Vorgaben nach unten korrigiert, wobei die Mehrheit eine schwache Nachfrage als Grund nannte.4 Dies sind die meisten Unternehmen seit über einem Jahr und doppelt so viele wie im 1. Quartal.
Dies dürfte sich meiner Ansicht nach fortsetzen, besonders falls die jüngsten Ankündigungen chinesischer Entscheidungsträger die chinesische Wirtschaft nicht stabilisieren können.
3) Höhere Zinsen werden allmählich schmerzhaft, trotz Zinssenkungen der Zentralbanken
In Erwartung des Straffungszyklus haben Unternehmen die Laufzeiten ihrer Verbindlichkeiten verlängert, wodurch sie größtenteils vor höheren Fremdkapitalkosten geschützt waren. In den kommenden Jahren müssen aber immer mehr Verbindlichkeiten refinanziert werden, und selbst wenn die Zinsen weiter sinken, werden viele Unternehmen hierbei weiterhin höhere Zinsen akzeptieren müssen. Dementsprechend beobachten wir einen Anstieg der Zinskosten als Prozentsatz der Gewinne, was sich meines Erachtens selbst bei sinkenden Zinsen fortsetzen sollte.
4) Die hohen Margen dürften sinken
Die Margen europäischer Unternehmen liegen deutlich über den normalen Werten nach der globalen Finanzkrise. Ich erwarte zumindest teilweise eine Normalisierung der Margen, besonders falls sich der globale Konjunkturzyklus in den kommenden Monaten verlangsamt, wobei Bereiche wie Autohersteller besonders anfällig sind.
5) Die Erzeugerpreisdeflation wird die europäischen Gewinne weiter belasten
Für einige Jahre nach der Pandemie hatten inländische Produzenten eine ungewöhnlich hohe Preissetzungsmacht und konnten immer höhere Preise für ihre Produkte abrufen, was sich in einer hohen Erzeugerpreisinflation niederschlug. In jüngerer Zeit verzeichnen Unternehmen im Euroraum aber allmählich sinkende Erzeugerpreise (Abbildung 1). Dies war in der Vergangenheit ein Frühindikator für Margendruck und negatives Gewinnwachstum.