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Biologische Vielfalt: Weshalb Anleger diesem Thema Beachtung schenken sollten

Christopher Goolgasian, CFA, CPA, CAIA, Director of Climate Research
Jenny Xie, Venture Associate
2023-12-31
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Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind diejenigen der Autoren zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Dokuments. Andere Teams können andere Ansichten vertreten und andere Anlageentscheidungen treffen. Der Wert eines Investments kann gegenüber dem Zeitpunkt des ursprünglichen Investments steigen oder sinken. Von externen Anbietern stammende Daten werden zwar als verlässlich erachtet, doch gibt es keine Garantie für ihre Richtigkeit. Nur für professionelle, institutionelle oder zugelassene Anleger. 

Die vielfältigen und reichhaltigen Ökosysteme der Erde sind schon seit langem eine Quelle von „Naturkapital“, das unser Wirtschaftswachstum und unsere Entwicklung fördert. Heute ist sich die Wissenschaft weitgehend einig, dass der Einfluss des Menschen den Zustand der Ökosysteme rapide verschlechtert und zu einem Verlust an biologischer Vielfalt führt, der schwerwiegende Folgen für die menschliche Gesundheit, die Stabilität der Wirtschaft und den Wert von Finanzanlagen haben kann. Angesichts dieser Einigkeit unter Wissenschaftlern sind unser Climate Research-Team und unser breiteres Team für nachhaltige Anlagen (Sustainable Investment, SI) der Meinung, dass Anleger die potenziellen Auswirkungen dieses Verlusts an biologischer Vielfalt verstehen und Möglichkeiten zur Minderung der damit verbundenen finanziellen Risiken untersuchen sollten. 

Aus diesem Grund intensivieren wir das Research zum Thema biologische Vielfalt mit dem langfristigen Ziel, unsere Investmentexperten dabei zu unterstützen, die finanzielle Bedeutung des Verlusts der biologischen Vielfalt für Regionen, Anlageklassen und Sektoren besser einschätzen zu können. Außerdem arbeitet unser Team an der Weiterentwicklung unserer Stewardship-Praktiken. Hier besteht das Ziel darin, diejenigen Bereiche zu ermitteln, in denen wir unserer Meinung nach den größten Mehrwert für unsere Kunden schaffen können.

Was der Verlust der biologischen Vielfalt für uns bedeutet

Eine der größten Herausforderungen beim Herangehen an das Thema der biologischen Vielfalt ist seine außergewöhnliche Komplexität und Bandbreite. Die Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) definiert biologische Vielfalt als die „Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft, darunter Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören“ (keine offizielle Übersetzung).1 Diese Variabilität umfasst nicht nur Unterschiede in den Merkmalen, sondern auch „Veränderungen in der zeitlichen und räumlichen Häufigkeit und Verteilung innerhalb und zwischen Arten, biologischen Gemeinschaften und Ökosystemen“.  

Der Verlust der biologischen Vielfalt ist auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen, aber laut IPBES2 lassen sich die direkten Ursachen in die folgenden Kategorien einteilen:

  • Änderung der Landnutzung 
  • Klimawandel 
  • Umweltverschmutzung
  • Nutzung und Ausbeutung natürlicher Ressourcen 
  • Invasive Arten 

Die Auswirkungen des Verlusts von biologischer Vielfalt sind vielschichtig. Sie reichen von der Schädigung der Umwelt und der Zerstörung kritischer Ökosysteme über die Gefährdung der menschlichen Gesundheit, die Beeinträchtigung des sozialen Gefüges und das Potenzial für Konflikte bis hin zu langfristigen wirtschaftlichen Verlusten.

Klimawandel und biologische Vielfalt

Untersuchungen deuten darauf hin, dass mit der Zunahme der CO2-Emissionen eine immer größere Zahl von Arten potenziell gefährlichen Klimabedingungen ausgesetzt sein wird, die ihr langfristiges Überleben bedrohen können. Unser Team ist davon überzeugt, dass die Untersuchung der biologischen Vielfalt der nächste logische Schritt zu einem besseren Verständnis und zur Bewältigung klimabedingter Risiken ist. Viele natürliche Ressourcen wie Böden, Permafrost und Wälder sind wichtige Kohlenstoffsenken. Gesunde ober- und unterirdische Ökosysteme, darunter Korallenriffe, Mangrovenwälder und viele andere, können dazu beitragen, die negativen Auswirkungen des Klimawandels abzumildern. 

Es gibt keine einzelne Kennzahl, die das Ausmaß des Verlusts an biologischer Vielfalt erfasst, aber die Wissenschaftler sehen zunehmend Anhaltspunkte für eine rasante Beschleunigung. Dem Living Planet Report 2022 des WWF zufolge sind die weltweiten Wildtierpopulationen seit 1970 im Durchschnitt um 69% zurückgegangen,3 während ein IPBES-Bericht aus dem Jahr 2019 zu dem Ergebnis kommt, dass eine Million Arten vom Aussterben bedroht sind, in vielen Fällen innerhalb weniger Jahrzehnte.4

Die wirtschaftlichen Kosten eines Verlusts an biologischer Vielfalt 

Gesunde Ökosysteme sind für die langfristige Tragfähigkeit unserer Wirtschaft und Gesellschaft von entscheidender Bedeutung. Unserer Ansicht nach darf das Naturkapital nicht mehr als kostenfreier Produktionsfaktor für Geschäftsprozesse betrachtet werden, sondern ist vielmehr ein Gut, das geschützt und berücksichtigt werden muss. Das volle Ausmaß der potenziellen wirtschaftlichen Auswirkungen des Verlusts der biologischen Vielfalt lässt sich jedoch nur schwer erfassen. Diesbezügliche Daten sind derzeit unzuverlässig und widersprüchlich. Sowohl Unternehmen als auch Regierungen profitieren von der biologischen Vielfalt, tragen aber auch zu deren Verlust bei, und die Lieferketten der Industrieproduktion enthalten versteckte Abhängigkeiten und haben weitreichende Auswirkungen auf die biologische Vielfalt. 

Schätzungen des Weltwirtschaftsforums (WEF) geben eine Vorstellung davon, was auf dem Spiel steht. Nach Berechnungen des WEF hängt wirtschaftliche Wertschöpfung in Höhe von etwa 44 Bio. USD – und damit mehr als die Hälfte des weltweiten BIP – teilweise oder in hohem Maße von der Natur ab. Die Bruttowertschöpfung der drei Sektoren, die nach Einschätzung des Weltwirtschaftsforums am stärksten auf die Natur angewiesen sind (Bauwesen, Landwirtschaft sowie Nahrungsmittel und Getränke), beläuft sich auf 8 Bio. USD, was in etwa dem Doppelten der Wirtschaftsleistung Deutschlands entspricht.

Bereits heute sind wir Zeugen erheblicher wirtschaftlicher Schäden durch den Verlust an biologischer Vielfalt. In ihrer Einschätzung aus dem Jahr 2019 kommt die IPBES zu dem Schluss, dass die Produktivität von 23% der globalen Landfläche und jährliche Ernteerträge im Wert von bis zu 577 Mrd. USD durch den Verlust von Bestäubern gefährdet sind. Die IPBES-Einschätzung zeichnet zudem ein düsteres Bild vom Verlust der biologischen Vielfalt im Meer: Verschiedene Formen der Verschmutzung haben zu mehr als 400 „toten Zonen“ in den Ozeanen geführt, die insgesamt mehr als 245.000 km2 groß sind. Das entspricht in Summe einer Fläche, die größer ist als das Vereinigte Königreich.

Ein möglicher Entwicklungspfad

Als Treuhänder des Vermögens unserer Kunden sieht unser SI-Team es als unsere Aufgabe an, den Verlust der biologischen Vielfalt besser zu verstehen und seine finanzielle Bedeutung für die verschiedenen Anlageklassen, Wertpapiere und Regionen zu analysieren. Derzeit fehlt es der Vermögensverwaltungsbranche an einer geeigneten Datengrundlage sowie an Rahmenkonzepten für eine vollständige Einbindung der biologischen Vielfalt in den Anlageprozess. Allerdings konzentrieren sich Aufsichtsbehörden, Finanzinstitute und andere Interessengruppen inzwischen immer mehr auf die Bedeutung der Natur, was die Verfügbarkeit von Daten beschleunigen könnte. 

Wir gehen davon aus, dass sich das Bewusstsein für die biologische Vielfalt allmählich an den Kapitalmärkten durchsetzen wird – so wie es mit dem Klimawandel bereit geschehen ist. Die Einbindung von Überlegungen zur biologischen Vielfalt in Anlageprozesse dürfte in vier Hauptphasen erfolgen:

  1. Wissenschaftler präsentieren besorgniserregende Beweise. Eine große und wachsende Zahl wissenschaftlicher Untersuchungen zeigt, wie wichtig es ist, den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen. 
  2. Politische Entscheidungsträger auf der ganzen Welt passen die geltenden Vorschriften entsprechend an. Auf Basis zunehmender wissenschaftlicher Erkenntnisse versuchen die Regierungen, politische Maßnahmen zu entwickeln, um dem Verlust der biologischen Vielfalt entgegenzuwirken. Die COP15-Konferenz in Montreal könnte weitere Impulse für Regulierungsmaßnahmen geben.
  3. Vermögensverwalter entwickeln Stewardship-Praktiken weiter. Veränderte Vorschriften werden aktive Manager wahrscheinlich dazu anregen, ihre Stewardship-Aktivitäten auszuweiten, u.a. durch einen Dialog mit Unternehmen und die Ausübung von Stimmrechten, um das Bewusstsein für das Thema Biodiversität zu fördern und Unternehmen und Emittenten dabei zu helfen, entsprechende Aspekte in ihre Richtlinien und Praktiken einzubinden. 
  4. Die branchenweiten Offenlegungen werden verbessert, und Standards werden einheitlicher. Ein besseres Verständnis der Risiken im Bereich der biologischen Vielfalt und die zunehmende Verfügbarkeit entsprechender Daten dürften zu einer Standardisierung der diesbezüglichen Offenlegungen führen. Dies sollte Anleger darin unterstützen, die Risiken effektiv zu bewerten, während Unternehmen eine Orientierung für entsprechende Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme erhalten.

Welche Schritte können Anleger unternehmen? 

Vertiefung ihrer Kenntnisse über die biologische Vielfalt
Bei der Entwicklung standardisierter Kennzahlen, die auf belastbaren Daten zur biologischen Vielfalt beruhen und die damit verbundenen Risiken abbilden, steckt die Branche noch in den Kinderschuhen. Anleger können jedoch schon heute damit beginnen, ihr Wissen über die biologische Vielfalt zu erweitern. Einige empfehlenswerte Informationsquellen zu diesem Thema sind:

Auch das SI-Team von Wellington wird seine Erkenntnisse teilen, während wir unser Wissen vertiefen und unseren Ansatz zur Untersuchung der biologischen Vielfalt optimieren. 

Verbesserung von Stewardship-Maßnahmen
Parallel zum Aufbau von Wissen empfehlen wir Anlegern, ihre Stewardship-Praktiken durch einen direkten Dialog mit Unternehmen und die Ausübung ihrer Stimmrechte weiterzuentwickeln. 

Beitritt zu gemeinsamen Initiativen der Branche
Wir plädieren für eine Beteiligung an Rahmenwerken und Initiativen der Branche. Dazu zählen beispielsweise die Taskforce on Nature-related Financial Disclosure (TNFD), CERES, die Platform for Biodiversity Accounting for Financials (PBAF), das Global Impact Investing Network (GIIN), der Investors Policy Dialogue on Deforestation (IPDD) sowie verschiedene andere.

Investitionen in Research; Analyse neuer Ideen
Durch unsere Research-Partnerschaften mit dem Woodwell Climate Research Center und dem Joint Program on the Science and Policy of Global Change am Massachusetts Institute of Technology können wir von einem intensiven Dialog und wertvollen Erkenntnissen über die physischen und übergangsbezogenen Risiken des Klimawandels profitieren. Diese Partnerschaften zielen darauf ab, klimawissenschaftliche Erkenntnisse mit praktischen Implikationen für die Finanzbranche zu verknüpfen. Inzwischen haben wir auch begonnen, die Zusammenhänge zwischen Finanzen und biologischer Vielfalt zu untersuchen.

Erforschung der biologischen Vielfalt: Untersuchung neuer Konzepte 

Im Rahmen unserer Zusammenarbeit mit Woodwell zu den physischen Risiken des Klimawandels haben wir festgestellt, dass die Übersetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in finanztechnische Terminologie ein besonders effektives Mittel sein kann, um Investmentteams in die Lage zu versetzen, klimabezogene Risiken in ihren Modellen und Finanzkalkulationen zu analysieren und zu vergleichen. 

Da wir unsere Arbeit mit Woodwell nun auch auf die biologische Vielfalt ausdehnen, entwerfen wir aktuell ein zukunftsorientiertes Researchkonzept, das wir als Cost of Nature Sold oder CONS (Naturkosten) bezeichnen – ein mögliches Gegenstück zu den Cost of Goods Sold oder COGS (Umsatzkosten), einem gängigen Begriff aus der Rechnungslegung, der Anlegern weithin vertraut ist. Zwar muss noch ein erhebliches Datenvakuum beseitigt werden, bevor CONS zu einer zuverlässigen Kennzahl werden kann, aber das Beispiel veranschaulicht, wie wir uns bemühen, kreativ über potenzielle Kennzahlen nachzudenken, die im Investmentkontext nützlich sein könnten. Je eher Finanzmarktteilnehmer und Wissenschaftler eine gemeinsame Nomenklatur finden, desto schneller dürften die Entscheidungsträger unserer Einschätzung nach in der Lage sein, maßgebliche Informationen zu verarbeiten und anzuwenden.

Fazit

Angesichts der Einigkeit unter Wissenschaftlern ist unser SI-Team zu dem Schluss gekommen, dass der Verlust der biologischen Vielfalt – ähnlich wie der Klimawandel – ein bedeutendes finanzielles Risiko für zahlreiche Unternehmen und Anleger darstellen kann. Leider fehlt es an geeigneten Daten und Offenlegungsstandards. Daher dürfte die Vermögensverwaltungsbranche noch einen langen Weg vor sich haben, bis Überlegungen zur Biodiversität in größerem Umfang in Anlageentscheidungen berücksichtigt werden. In diesem frühen Stadium sollten sich Anleger nach Ansicht unseres Teams auf den Aufbau von Wissen über die biologische Vielfalt, die Priorisierung der Bereiche, in denen die Risiken in Zusammenhang mit dem Verlust der biologischen Vielfalt am stärksten ausgeprägt sind, und die Entwicklung effektiver Stewardship-Praktiken konzentrieren. Unser Ziel ist es, unsere Kunden und Portfoliounternehmen bei der Reaktion auf das sich schnell verändernde Markt- und Regulierungsumfelds zu unterstützen, und wir freuen uns darauf, unsere Erkenntnisse über die Anlagerisiken, die sich aus einem Verlust an biologischer Vielfalt ergeben, mit ihnen zu teilen.

Unser Ansatz für Impact Investing

Experten

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Christopher Goolgasian

, CFA, CPA, CAIA

Director of Climate Research
Jenny Xie

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