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Wichtige Faktoren zur Beobachtung bei europäischen Aktien

Nicolas Wylenzek, Macro Strategist
2025-03-31
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Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind diejenigen des Autors bzw. der Autorin zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Dokuments. Andere Teams können andere Ansichten vertreten und andere Anlageentscheidungen treffen. Der Wert einer Anlage kann gegenüber dem Zeitpunkt der ursprünglichen Investition steigen oder sinken. Von externen Anbietern stammende Daten werden zwar als verlässlich erachtet, doch gibt es keine Garantie für ihre Richtigkeit. Nur für professionelle, institutionelle oder zugelassene Anleger.

Kernaussagen

  • Die Stimmung im Hinblick auf europäische Aktien ist eindeutig eher negativ, aber ich sehe sowohl kurz- als auch langfristig positives Potenzial für aktive Anleger, da sich die europäischen Volkswirtschaften auf Erholungskurs befinden.
  • Wo die kurzfristigen Chancen liegen, hängt meiner Meinung nach weitgehend von fünf Faktoren ab, die ich genau beobachte.
  • Längerfristig betrachtet durchlaufen die europäischen Märkte meiner Meinung nach einen Paradigmenwechsel. Die damit einhergehenden Unterschiede und die entsprechende Volatilität können für aktive Investoren interessante neue Anlagechancen eröffnen.

Angesichts der anhaltenden Fokussierung auf die „glorreichen Sieben“ und den Technologiesektor im weiteren Sinne ist es meiner Meinung nach leicht, das Potenzial europäischer Aktien jenseits der sogenannten „GRANOLAS“, d.h. der 11 führenden Unternehmen, die für den Großteil der jüngsten Kursgewinne am europäischen Aktienmarkt verantwortlich zeichnen, zu übersehen. Während die europäischen Leitindizes im Jahr 2023 hinter ihren US-Pendants zurückblieben, übertrafen europäische Aktien auf gleichgewichteter Basis alle wichtigen Märkte. Trotz des anhaltenden Drucks ist das Umfeld für europäische Aktien meiner Meinung nach für aktive Anleger sowohl kurz- als auch langfristig zunehmend attraktiv. 

Wir nähern uns einem positiven Wendepunkt

Die wirtschaftliche Dynamik in Europa steht vor einem positiven Wendepunkt. Dies mag überraschen, da die Wirtschaftsleistung der Region nach wie vor enttäuschend ist. Vor allem Deutschland – der Wirtschaftsmotor Europas – kämpft noch mit der Anpassung an ein neues strukturelles Umfeld. Gleichzeitig geraten die Gewinne in Europa unter Druck, während sich die Inflation normalisiert. Die konjunkturellen Frühindikatoren haben sich jedoch in weiten Teilen Europas deutlich erholt, und die Bewertungen spiegeln die Gewinnrisiken wider. Vorsichtig wäre ich in Bereichen, in denen die Margen aufgrund des starken nominalen Wachstums (dem Haupttreiber der Gewinne) künstlich aufgebläht wurden. Europäische Unternehmen und Sektoren mit robusten Gewinnen und positiven Gewinnkorrekturen (z.B. der Gesundheitssektor) halte ich hingegen für attraktiv.

Kurz- und mittelfristig wird die Entwicklung europäischer Aktien meiner Meinung nach größtenteils von fünf Faktoren abhängen, die ich genau beobachte: 

  • Wachstumsdynamik: Ein positiver Anstieg der Reallöhne, eine Entspannung bei den Finanzierungsbedingungen und ein günstiges fiskalpolitisches Umfeld dürften zu einer Belebung des Wachstums in Europa beitragen. Im Vergleich dazu halte ich das Aufwärtspotenzial für die USA trotz der zuletzt guten Daten für eher begrenzt. Von diesem Umfeld dürften eher zyklusabhängige, inländische/regionale Marktsegmente wie Reise- und Freizeitwerte sowie Small Caps profitieren. Dies könnte auch dazu beitragen, dass die inländischen Banken den voraussichtlichen Rückgang der Nettozinsmargen von ihren derzeitigen Höchstständen ausgleichen können. 
  • Robuste Gewinne: Das starke nominale Wachstum und die Widerstandsfähigkeit der Margen haben den Gewinnen in den Jahren 2022 und 2023 erheblichen Rückenwind geboten. Mit nachlassender Inflation dürften diese Faktoren ihre Richtung ändern und das Gewinnwachstum im Jahr 2024 bremsen. Die Unternehmen müssen sich auch mit steigenden Zinskosten auseinandersetzen. Die Konsensschätzungen für das Gewinnwachstum sind verhaltener als in den USA und Japan, aber ich bin weiterhin besorgt über das Abwärtsrisiko, da weitere Abwärtskorrekturen bei den Gewinnen wahrscheinlich sind. Mittelfristig könnte jedoch die Wahrscheinlichkeit positiver Überraschungen steigen, wenn die europäischen Volkswirtschaften wieder Fahrt aufnehmen. 
  • China: Europa verfügt über eine Reihe von Unternehmen – vor allem im Luxusgüter-, Automobil- und Bergbausektor –, die ein indirektes Engagement in China zu (teilweise) niedrigen Kosten und ohne die mit chinesischen Aktien verbundenen idiosynkratischen Risiken ermöglichen.
  • Bedeutung von Schlüsselthemen:  Meiner Meinung nach sind KI und die Energiewende die wichtigsten Wachstumsthemen, die die Aktienrenditen in den kommenden Jahren bestimmen werden. Derzeit bieten europäische Aktien in bedeutsamem Maß Zugang zum Thema Energiewende, dies gilt jedoch weniger für künstliche Intelligenz (KI). Die Bewertungen haben daher unter der jüngsten Fokussierung auf KI gelitten. Sollte sich dieser Trend teilweise zugunsten der Energiewende umkehren, wäre dies ein wichtiger Rückenwind für viele europäische Unternehmen. Der jüngste Widerstand in der europäischen Politik gegen einige der vorgeschlagenen klimapolitischen Maßnahmen könnte eine solche Wende zwar verzögern, die strukturellen Gründe für die Energiewende bleiben aber weitgehend intakt. 
  • Bewertungen: Die nach wie vor sehr attraktiven Bewertungen in Europa deuten darauf hin, dass viele negative Nachrichten bereits eingepreist sind. Ich sehe dies allerdings nicht als Katalysator für eine zukünftige Outperformance.

Konzentration auf Bereiche mit kurzfristigem Potenzial

Obwohl ich davon überzeugt bin, dass sich Chancen vor allem auf Unternehmensebene ergeben, können die folgenden Perspektiven bei der Positionierung eines Portfolios helfen:

  • Auf Länderebene halte ich Peripherieländer wie Spanien und Italien für attraktiver als die Kernländer, da sie stärker auf lokales, konsumgetriebenes Wachstum ausgerichtet sind, verhältnismäßig stärker von der EU-Initiative NextGenerationEU profitieren und einen besseren Zugang zu günstigerer Energie haben. 
  • Auf Sektorebene würde ich den Fokus auf inländische Zyklizität legen, die meines Erachtens am besten durch Banken mit diversifiziertem Engagement an den europäischen Märkten, einige ausgewählte inländische Titel in Bereichen wie Reisen und Freizeit sowie europäische Small Caps abgedeckt wird.
  • Aus Faktorperspektive halte ich Widerstandsfähigkeit der Gewinne und Engagement im Inland für zwei Bereiche, die sich gut entwickeln dürften. 

Reduzierung des Verlustrisikos

Die beiden Hauptrisiken, auf die ich mich konzentriere, sind eine globale Konjunkturabkühlung und eine Zunahme der geopolitischen Spannungen. Sollten die Märkte wieder über eine mögliche Rezession in den USA spekulieren, dürften sich europäische Aktien aufgrund ihrer Zyklizität schwer tun. Zunehmende geopolitische Spannungen wären angesichts der offenen Wirtschaft Europas, seiner Abhängigkeit von Energieimporten und des hohen Anteils an Exporten nach China ebenfalls nachteilig. 

Ich sehe Potenzial, einige dieser kurzfristigen Risiken durch Allokationen in defensiven europäischen Werten in Bereichen wie Versorgung, Telekommunikation und Gesundheit abzufedern. Zyklische Konsum- und Industriewerte würde ich dagegen weitgehend meiden, da bei diesen nach ihrer Rally Ende 2023 bereits eine deutliche Erholung eingepreist ist. 

Den Fokus stärker auf strukturelle Veränderungen legen 

Ich glaube, dass die europäischen und globalen Märkte derzeit einen Paradigmenwechsel durchlaufen, da wir in ein Umfeld mit strukturell höherer Inflation und höheren Zinsen eintreten, das außerdem durch Deglobalisierung, zunehmende geopolitische Rivalitäten, demografische Veränderungen und Klimawandel gekennzeichnet ist. Diese Entwicklungen führen wiederum zu verstärkten politischen Interventionen und einem Fokus auf der nationalen Sicherheit und Widerstandsfähigkeit sowie zu Onshoring und höheren Staatsausgaben. Für Investoren kann dies Folgendes bedeuten: 

  • Bewertungen spielen eine immer wichtigere Rolle: Da Finanzierung nicht mehr „kostenlos“ ist, werden Anleger wachstumsorientierte Titel und Anlagen mit langer Duration nicht um jeden Preis kaufen. 
  • Internationales Engagement ist kein so klarer Vorteil mehr: Unternehmen und Volkswirtschaften mit einem hohen internationalen Engagement haben in den letzten Jahrzehnten erheblich von der Globalisierung profitiert. Da sich dieser Trend nun umkehrt, dürften die heimischen Sektoren und die peripheren Volkswirtschaften Europas profitieren. 
  • Neue Marktführer werden entstehen: Das Platzen der Internetblase im Jahr 2000 und die globale Finanzkrise 2008 haben jeweils zu einem Führungswechsel an den europäischen Aktienmärkten geführt.  Der gegenwärtige Strukturwandel könnte erneute Veränderungen auslösen. 

Meiner Meinung nach werden diese Entwicklungen zu mehr Divergenz und Volatilität führen. Aktive Investoren sollten meines Erachtens gut positioniert sein, um hierdurch entstehende Anlagechancen zu nutzen, sofern sie in der Lage sind, fundamentale Unternehmensanalysen mit einem genauen Verständnis der jeweiligen Sektor-, Länder- und Makrodynamik zu kombinieren. 

Experte

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Nicolas Wylenzek

Macro Strategist