Die Inflation scheint sich weltweit abzukühlen, und die Höchststände der letzten Jahrzehnte, die im Jahr 2022 erreicht wurden, gehören endgültig der Vergangenheit an. Ein überraschender Anstieg beispielsweise durch Rohstoffschocks, spezifische Ereignisse oder eine anhaltende Widerstandsfähigkeit der Verbraucher ist zwar absolut möglich, unseres Erachtens sollte die globale Inflation aber einem festen Abwärtstrend folgen. Angesichts der aktuellen Preisentwicklung halten wir eine weiche Landung für das wahrscheinlichste Ergebnis. Ein plötzliches neuerliches Anziehen der Wirtschaftsdaten oder ein für die Marktteilnehmer überraschender Inflationsanstieg können angesichts der soliden Unternehmens- und Verbraucherbilanzen sowie des bemerkenswerten Mangels an Arbeitskräften jedoch nicht völlig ausgeschlossen werden.
Das wahrscheinlichere Szenario ist jedoch, dass Zinssenkungen von den Märkten korrekt eingepreist werden. Da die Inflation zurückgeht und die Realzinsen trotz der jüngsten Rally deutlich höher sind als noch vor einem Jahr, haben die Zentralbanken Spielraum und werden eine zu restriktive Geldpolitik vermeiden wollen. Die Rückkehr des Zielkonflikts zwischen Inflation und Wachstum hat die politischen Entscheidungsträger dazu veranlasst, sich über die Abwärtsrisiken für den Konjunkturzyklus mindestens ebenso viele Gedanken zu machen wie über das Risiko, dass die Inflation nicht wieder auf ihr Zielniveau zurückkehrt.
Potenzielle Unterschiede zwischen den USA und Europa
Angesichts der wachsenden Besorgnis bezüglich der Vermeidung einer tiefen Rezession gehen wir davon aus, dass die Zentralbanken ein schwaches Wirtschaftswachstum (oder eine Rezession, wie schwach auch immer) zum Anlass nehmen könnten, die Zinsen zu senken, zumal die Währungshüter ihr Ziel, die Inflation nachhaltig in Richtung 2% zu drücken, zu erreichen scheinen. Während in der ersten Jahreshälfte die US-Notenbank (Fed) den Trend zu Zinssenkungen unter den globalen Zentralbanken vorgeben könnte, sind im weiteren Jahresverlauf zunehmende Unterschiede zwischen den Ländern möglich.
Die Fed hat ihren erwarteten Höchstsatz für die Leitzinsen wahrscheinlich bereits erreicht und könnte im ersten Quartal 2024 mit Zinssenkungen beginnen, wenn sich die Wirtschaftsdaten weiter abschwächen und bevor der Präsidentschaftswahlzyklus voll in Gang kommt. Da die Inflation in diesem Zeitraum voraussichtlich über dem Ziel der Fed von 2% bleiben wird, werden die Verbraucher bis dahin die Folgen zu spüren bekommen. Die gestiegene Inflation hat die Reallöhne weiter sinken lassen, die Ersparnisse sind weitgehend aufgebraucht, die Arbeitslosigkeit steigt und die Kreditbedingungen verschärfen sich. Die Fed wird daher wahrscheinlich eine gewisse Toleranz gegenüber einer Inflation über dem Zielwert zeigen, da sie andernfalls (und bei weiteren Leitzinserhöhungen) riskieren würde, die Wirtschaft in eine tiefere Rezession zu stürzen.
In Europa wurde im Laufe des Jahres 2023 ein kontinuierlicher Rückgang der Inflation verzeichnet, der im Vereinigten Königreich allerdings geringer ausfiel. Das Wachstum stagniert und einige Länder – allen voran Deutschland – stehen am Rande einer technischen Rezession. Die Verbraucherausgaben haben in den letzten Jahren nicht mit der Entwicklung in den USA Schritt gehalten, und es ist unwahrscheinlich, dass die Ersparnisse aus der Pandemiezeit plötzlich ausgegeben werden. Die Kerninflation dürfte jedoch dank eines sehr robusten Arbeitsmarkts und eines nur leichten Anstiegs der Arbeitslosigkeit über dem Zielwert bleiben. Trotz deutlicher Zinserhöhungen wird die letzte Etappe auf dem Weg zurück zu einer Inflationsrate von 2% schwieriger sein als die bisherige Entwicklung, da die Talsohle im verarbeitenden Gewerbe erreicht zu sein scheint und der Dienstleistungssektor wieder einen Anstieg zeigen könnte. Während die Märkte vor diesem Hintergrund Zinssenkungen einpreisen, könnte die Europäische Zentralbank die Zinsen durchaus unverändert lassen, sofern sich die Lage an den Arbeitsmärkten nicht deutlich verschlechtert. Auch die Bank of England könnte nach einigen Zinssenkungen gezwungen sein, eine Pause einzulegen. Die Beibehaltung der Zinssätze auf diesem höheren Niveau würde darauf hindeuten, dass:
- die Volkswirtschaften offenbar in der Lage sind, höhere Zinssätze zu verkraften, ohne in eine tiefe Rezession abzugleiten;
- die Konjunkturzyklen zwischen den Ländern weiterhin nicht synchron verlaufen müssen; und
- die Jahre der Nullzinsgrenze hinter uns liegen, sofern keine exogenen Schocks auftreten.
Wir gehen davon aus, dass sich der Trend zur Versteilerung der Zinskurve fortsetzen wird, entweder durch eine Rally am kurzen Ende oder durch einen Anstieg der Renditen am langen Ende, da die Volkswirtschaften auf lange Sicht eine hartnäckigere Inflation verkraften müssen.
Japan bleibt die Ausnahme
Eine nennenswerte Ausnahme bei der Abkühlung der Inflation in den Industriestaaten ist Japan, wo eine deutliche Reflation zu beobachten ist, da die Bank of Japan (BOJ) unbeirrt ihr eigenes Tempo bei der Abkehr von der expansiven Geldpolitik verfolgt, anstatt sich den Zinserhöhungszyklen der globalen Zentralbanken anzuschließen. Die Kontrolle der Zinsstrukturkurve wurde zwar deutlich angepasst, wir werden das Jahr 2024 jedoch immer noch mit negativen BOJ-Leitzinsen beginnen, und die Märkte konnten bisher noch nicht ausreichend Druck auf die politischen Entscheidungsträger ausüben. Während die Richtung klar ist – Abkehr von der Kontrolle der Zinsstrukturkurve und Ausstieg aus den Negativzinsen – bleibt die Frage, wie und wann mit einer Normalisierung der Geldpolitik zu rechnen ist.
Eine bessere Situation in den Schwellenländern
In den sogenannten Emerging Markets ist es den Zentralbanken gelungen, frühzeitig in diesem Zyklus mit Zinserhöhungen zu beginnen. Dies hat sie in die (aus Sicht anderer Entscheidungsträger) beneidenswerte Lage versetzt, die Zinssätze schrittweise senken zu können, ohne Gefahr zu laufen, dass sich die Inflation im System festsetzt. Vor diesem Hintergrund könnten die Währungen der Emerging Markets unter Druck geraten, nicht nur aufgrund der Zinssenkungen, sondern auch, weil gegen Ende des Zyklus im Allgemeinen der US-Dollar, der Schweizer Franken und der japanische Yen begünstigt sind, die von den Märkten als sichere Häfen angesehen werden. Diese Zinsdifferenz könnte jedoch noch einige Zeit anhalten, weshalb die Emerging Markets positives Ertragspotenzial bieten könnten.
Die systemische Herausforderung für China
Die chinesische Politik hat nur langsam auf die enttäuschende Wiedereröffnung nach der Pandemie im ersten Halbjahr 2023 reagiert, bemüht sich nun aber verstärkt darum, den inländischen Abschwung zu bekämpfen und das Wirtschaftsmodell auf den Konsum und die Produktion von Gütern mit höherer Wertschöpfung für den Export umzustellen. Der bisher beobachtete Abschwung ist vielschichtig, da Probleme am Immobilienmarkt mit sich verschlechternden Bilanzen und einer überraschend hohen Arbeitslosigkeit unter den jüngeren Generationen einhergehen. Die chinesische Zentralbank hat bisher eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die Liquiditätsprobleme anzugehen, aber die Geldpolitik alleine wird nicht ausreichen, um diese eher systemischen Herausforderungen zu bewältigen.
Fazit: Eine fortgesetzte Normalisierung, aber Vorsicht vor möglichen Überraschungen
Zusammenfassend hat das Jahr 2023 gezeigt, dass die Volkswirtschaften in der Lage sind, höhere Zinsen über einen längeren Zeitraum zu verkraften und weiterhin ein positives Wachstum zu erzielen, wenn auch eher ein nominales als ein reales Wachstum. Die Zinskurven könnten noch steiler werden, insbesondere wenn die Inflation Anzeichen einer erneuten Beschleunigung zeigt. Gleichzeitig sehen wir ein erhöhtes Risiko für geldpolitische Fehler, da Zentralbanken und Märkte den gefährlichen Spagat zwischen Inflation und Wachstum meistern müssen. Die genaue Beobachtung dieser potenziellen Entwicklungen wird für die Positionierung von Portfolios im Jahr 2024 entscheidend sein.