Offensiver Umgang mit dem Inflationsdilemma

John Mullins, Investment Director
2025-03-31
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Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind diejenigen des Autors bzw. der Autorin zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Dokuments. Andere Teams können andere Ansichten vertreten und andere Anlageentscheidungen treffen. Der Wert einer Anlage kann gegenüber dem Zeitpunkt der ursprünglichen Investition steigen oder sinken. Von externen Anbietern stammende Daten werden zwar als verlässlich erachtet, doch gibt es keine Garantie für ihre Richtigkeit. Nur für professionelle, institutionelle oder zugelassene Anleger.

Wie zu dieser Jahreszeit üblich, habe ich einige Zeit damit verbracht, mit Kunden aus ganz Großbritannien über die Aussichten für das Jahr 2024 zu sprechen. Dabei kamen die üblichen Themen zur Sprache. Genau wie wir stellen sich auch unsere Kunden die Frage, wie es um die Wachstumsaussichten und die Politik der Zentralbanken bestellt sein wird. Welche Anlageklassen sind die richtigen? Sind die Bewertungen von Aktien überhöht? Und vielleicht am wichtigsten: Hat die Inflation ihren Höhepunkt überschritten? 

Am stärksten ist mir die Frage nach der Inflation aufgefallen. Die Märkte konzentrieren sich stark auf die Auswirkungen des disinflationären Drucks, wie etwa sinkende Preise für Lebensmittel und Produktionsmittel und eine Verlangsamung des Lohnwachstums. Andererseits gehen viele Marktteilnehmer davon aus, dass wir langfristig eine strukturell höhere Inflation erleben werden. Dieses Spannungsfeld zwischen kurz- und langfristigen Inflationsaussichten stellt Anleger im Jahr 2024 vor große Herausforderungen. 

Besonders relevant wird das, wenn die Anleger zu Jahresbeginn ihre traditionelle Neubewertung der Asset-Allokation vornehmen. Die Inflationsdebatte beeinflusst nach wie vor ihre Haltung zu Allokationen in Rentenwerten. Auf den ersten Blick sind die Argumente für Anleihen überzeugend. Das Wachstum schwächt sich ab, wenn auch regional sehr unterschiedlich. Die Inflation in den Industrieländern geht weiter deutlich zurück. Im Vereinigten Königreich ist die Gesamtinflation von einem Höchststand von 11% im Oktober 2022 auf 4% im Dezember gesunken. Aus Bewertungssicht sind die Anfangsrenditen über das gesamte Risikospektrum attraktiv, und obwohl die Spreads nach wie vor eng sind, dürften die Gesamtrenditen einen erheblichen Puffer gegen eine Ausweitung der Spreads bieten.    

Doch trotz des günstigen Umfelds sind die Anleger alles andere als überzeugt. Woran liegt das?    

Unseres Erachtens sind vor allem drei Faktoren ausschlaggebend: 

  1. Der Schaden, den die hohe Inflation Multi-Asset-Anlegern im Jahr 2022 zugefügt hat, wird in den Köpfen der Anleger nach wie vor sehr präsent sein. Ich gehe davon aus, dass die hohe Inflationsempfindlichkeit – ob gerechtfertigt oder nicht – auch in den kommenden Jahren anhalten wird. Anleger reagieren oft besonders sensibel auf Ereignisse der jüngsten Vergangenheit. Besonders deutlich wurde dies in der Zeit nach der globalen Finanzkrise, als die Anleger dem Risiko einer weiteren Kreditkrise mit extremer Vorsicht begegneten. 
  2. Auf kurze Sicht ist es unwahrscheinlich, dass die Rückkehr zu den Inflationszielen der Zentralbanken reibungslos verläuft. Dies könnte viele Anleger dazu veranlassen, sich in Erwartung besserer Einstiegsniveaus mit einer Übergewichtung der Duration zurückzuhalten.
  3. Der langfristige Inflationsausblick bleibt unsicher. Viele argumentieren, dass die Kräfte, die die Inflation in den letzten Jahrzehnten im Zaum gehalten haben, durch eine Reihe neuer struktureller Faktoren ersetzt wurden, die in den kommenden Jahren für eine höhere und volatilere Inflation sorgen werden.   

Ist das Thema Inflation abgehakt oder wird sie noch länger erhöht bleiben?  

Die Einschätzung, dass die Inflation über einen längeren Zeitraum hinweg erhöht bleiben wird, lässt sich nur schwer mit der Tatsache vereinbaren, dass die Inflation bereits viel schneller zurückgegangen ist als von den meisten erwartet, was vor allem auf sinkende Waren- und Energiepreise zurückzuführen ist. Wir gehen davon aus, dass sich dieser disinflationäre Trend in den kommenden Quartalen fortsetzen wird, wenn die Zentralbankpolitik restriktiv bleibt, das Wachstum nachlässt und auf den Arbeitsmärkten eine Abschwächung zu beobachten ist. Während sich die Inflation im Dienstleistungssektor hartnäckig hält, verlangsamt sich das Lohnwachstum, und bei den Wohnkosten, insbesondere den Mieten, gibt es Anzeichen für eine Abkühlung. Es gibt jedoch überzeugende Gründe dafür, dass die Inflation in Zukunft höher und volatiler ausfallen dürfte. Angesichts der langfristigen geopolitischen Trends erwarten wir eine Abkehr von der Globalisierung hin zur Regionalisierung, was die Effizienz der Lieferketten verringern und die Kosten in die Höhe treiben dürfte. Die Energiewende hat bereits ihre Auswirkungen auf die Angebots- und Nachfragedynamik an den Rohstoffmärkten gezeigt, und auch wenn das Tempo der Dekarbonisierung und die positiven Effekte technischer Fortschritte ungewiss bleiben, so ist zumindest mit einer stärkeren Volatilität der Rohstoffpreise zu rechnen. Was die Implikationen für die Asset-Allokation noch komplizierter macht, ist die Tatsache, dass es ohne einen klaren kurzfristigen Impuls oder eine Möglichkeit zum Quantifizieren dieser strukturellen Risiken schwierig ist, eine langfristig höhere Inflationserwartung in die kurzfristigen Präferenzen für die Asset-Allokation einzubeziehen, wenn ein erheblicher zyklischer Disinflationsdruck besteht.    

In den kommenden Quartalen dürften die disinflationären Kräfte stark bleiben, und sofern es nicht zu unvorhergesehenen geopolitischen Ereignissen oder einer Wiederbelebung des zugrunde liegenden Inflationsdrucks kommt, dürfte die Inflationsentwicklung in den Industrieländern bis zum Jahresende rückläufig sein, selbst wenn die Kerninflation noch einige Zeit über den Zielvorgaben der Zentralbanken liegt. Meiner Meinung nach würde ein VPI für die Kerninflation von dauerhaft unter 3% ausreichen, um einen Teil der Unsicherheit und Volatilität bei den risikofreien Zinssätzen zu beseitigen, die die Anleger in den letzten zwei Jahren vor Herausforderungen gestellt haben. Dies wäre ein Umfeld, in dem sich die Korrelation zwischen Aktien und Anleihen wieder etwas normalisieren könnte; diese Beziehung dürfte jedoch aufgrund des gestiegenen Inflationsrisikos schwächer ausfallen als im letzten Zyklus.   

Welche Implikationen hat das für die Asset-Allokation? 

Liquide Mittel haben vorübergehend sämtliche Anlageklassen dominiert. Angesichts der grundlegenden Umfeldveränderung für Multi-Asset-Anleger im Jahr 2022 und des voraussichtlichen Rückgangs der kurzfristigen Zinsen im kommenden Jahr (sofern es keine Überraschungen bei der Inflation gibt) sind die Voraussetzungen für Risikoanlagen im Vergleich zu liquiden Mitteln für langfristig orientierte Anleger günstig.   

Ein aktiver Ansatz bei der Asset-Allokation kann Anlegern dabei helfen, die Entwicklung der Erträge zu stabilisieren. Die Höhe des Risikos, das Anleger beim Timing von Asset-Allokationsentscheidungen eingehen sollten, hängt von ihrem Zeithorizont und ihrer Risikotoleranz ab. Die schrittweise Umschichtung von liquiden Mitteln in traditionelle Anlageklassen wie Anleihen und Aktien in Zeiten volatiler Marktbedingungen kann Anlegern aber helfen, das Risiko beim Einsatz ihrer liquiden Mittel zu steuern. Höhere Anfangsrenditen bedeuten, dass Anleger nicht allzu kreativ sein müssen, um im defensiven Bereich ihrer Portfolios Erträge zu erzielen. Gleichzeitig sind in der Wachstumskomponente die Bewertungen globaler Aktien nicht übermäßig teuer, auch wenn einzelne Marktsegmente bereits vollständig den fairen Marktwert widerspiegeln.  

Das soll aber nicht heißen, dass Anleger die potenziell disruptiven strukturellen Kräfte ignorieren sollten. Die Inflation könnte in den kommenden Jahren durchaus wieder ein Thema werden, aber ohne klar definierte Auslöser und Zeithorizonte sollten Anleger diesem Risiko meiner Meinung nach mit moderaten strategischen Allokationen in Bereichen wie Sachwerten und inflationssensitiven Segmenten des Aktienmarktes begegnen, die dazu beitragen können, inflationsbedingte Volatilität auszugleichen.   

Offensiver Umgang mit dem Inflationsdilemma

Für die meisten Anleger ist Zeit am Markt besser als zu versuchen, das richtige Timing bei einer Veränderung der Marktbedingungen hinzubekommen. Wer auf Entwarnung bei der Inflation wartet, könnte lange warten oder den Absprung verpassen, da die Märkte sich schnell anpassen. Durch eine feste Verankerung der Diversifikation in ihrer strategischen Asset-Allokation können Anleger dem Inflationsdilemma proaktiv mit einem gut diversifizierten Portfolio begegnen, anstatt auf den perfekten Einstiegszeitpunkt zu warten, der vielleicht nie kommt.

Experte

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John Mullins

Investment Director