Die Deglobalisierung und ihre Folgen

Nick Petrucelli, Portfolio Manager
2024-03-31
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Das späte zwanzigste und frühe einundzwanzigste Jahrhundert war von einer Beschleunigung der Globalisierung geprägt. Inzwischen scheint sich dieser Trend jedoch umzukehren. Nachfolgend untersuchen wir die Ursachen und möglichen Auswirkungen der Deglobalisierung.

Wie konnte es dazu kommen? 

Die heute zu beobachtende Abkehr von der Globalisierung wird von drei zentralen Themen getragen: 

1. Wirtschaft
In den 1990er und frühen 2000er Jahren erhielten die großen Volkswirtschaften der Welt Zugriff auf billige, bis dahin unzugängliche Arbeitskräfte – zunächst aus der damals gerade aufgelösten UdSSR und später auch aus China. 

Allerdings ließen die Vorteile der Globalisierung im Laufe der Zeit immer weiter nach, da die Löhne stiegen. Die COVID-19-Pandemie machte schließlich sehr deutlich, wie anfällig viele globale Lieferketten geworden waren, was wiederum Sicherheitsbedenken aufkommen ließ. Wichtige Wirtschaftsmächte wie die USA erkannten, wie sehr sie von Arbeitskräften in anderen Ländern abhängig waren, und begannen Maßnahmen zu ergreifen, um dem entgegenzuwirken. 

2. Politik
Die Globalisierung hat durch ein schnelles Wachstum der Märkte und die Nutzung günstiger ausländischer Arbeitskräfte dazu beigetragen, die weltweiten Ungleichheiten zu verringern. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass der Zugang zu billigen Arbeitskräften dazu beigetragen hat, die Unternehmensgewinne in den Industrieländern auf neue Höchststände zu treiben. Dies kam dem Kapital zugute, während der Anteil des Arbeitnehmerentgelts am BIP gesunken ist, was die Ungleichheit im Inland verschärft hat.

In den letzten Jahren ist zunehmend Kritik an dieser Entwicklung aufgekommen, und es wurden verschiedene politische Maßnahmen ergriffen, um den Verkehr von Waren, Menschen, Kapital und Technologie einzuschränken. Und dabei geht es nicht nur um den Wettbewerb mit China. Gesetze wie etwa der Inflation Reduction Act in den USA begünstigen die heimische Industrie, auch gegenüber Verbündeten wie Europa.

3. Geopolitik
Die von den USA angeführte geopolitische Ordnung der letzten drei Jahrzehnte befindet sich im Wandel. China verringert das wirtschaftliche und militärische Machtgefälle zu den USA und liefert ein alternatives Modell für Entwicklungsländer. Die chinesische Wirtschaft ist zwar weiterhin eng mit den USA und der Welt verflochten, diese neue Weltordnung hat jedoch sowohl mit militärischen als auch mit wirtschaftlichen Konflikten begonnen, wie die Sanktionen gegen Russland und die Exportbeschränkungen gegen China, um nur einige zu nennen. Dies hat das Risiko der wirtschaftlichen Abhängigkeit westlicher Länder von Entwicklungsländern, deren politische Strukturen nicht unbedingt den eigenen gleichzusetzen sind, erhöht.

Was sagen die Daten?

Über Jahrzehnte hinweg hat das Verhältnis vom Welthandel zum BIP einen stetigen Aufwärtstrend gezeigt. In den letzten zehn Jahren war jedoch eine Stagnation zu beobachten.1 Die Zahl der politisch verordneten Handelsbeschränkungen hat sich seit 2017 mehr als vervierfacht.2

Unternehmen sprechen in ihren Präsentationen heute zehnmal häufiger von „Reshoring“, „Onshoring“ oder „Nearshoring“.3  Und das ist mehr als nur leeres Gerede: In den USA haben die Baubeginne im verarbeitenden Gewerbe ein Allzeithoch erreicht, was wahrscheinlich auf bereits laufende Onshoring-Projekte zurückzuführen sein dürfte (Abbildung 1). 

Abbildung 1
Ausgaben für tatsächliche Baubeginne im verarbeitenden Gewerbe

Auch das Kapital ist davon betroffen. Anlagen in russischen Werten wurden aufgrund des Konflikts mit der Ukraine wertlos, und Investoren waren gezwungen, von Sanktionen betroffene chinesische Unternehmen zu veräußern. Anleger sind daher in Bezug auf internationale Investitionen entsprechend vorsichtig geworden. 

Unter Politikern und Unternehmen herrscht der klare Wunsch, einige Aspekte der Globalisierung rückgängig zu machen, was sich allmählich auch auf die Wirtschaft und die Märkte auswirkt.

Die Folgen

Wenn sich die Deglobalisierung weiter beschleunigt, werden die Wachstumsraten generell niedriger und die Inflation höher sein, da Güter und Arbeitskräfte weniger optimal eingesetzt werden. Die Konjunkturzyklen könnten angesichts einer geringeren internationalen Risikoteilung volatiler werden, und die Gewinnspannen der Unternehmen könnten unter Druck geraten – insbesondere bei den Unternehmen, die vom Outsourcing von Arbeitskräften profitiert haben. Zudem besteht Potenzial für einen Anstieg der Investitionsausgaben, insbesondere in Anbetracht des Investitionsbedarfs im Rahmen der Energiewende und eines bevorstehenden Rohstoffinvestitionszyklus. 

Die Chancen

Trotz dieses für die Kapitalmärkte eher negativen Umfelds bestehen weiterhin Anlagechancen. Rohstoffe könnten beispielsweise langfristig Rückenwind erhalten, da weniger effiziente Lieferketten und der Wettbewerb mit der heimischen Industrie um Dienstleistungen die Grenzkosten der Rohstoffproduktion in der Regel erhöhen. 

Außerdem bringt die geopolitische Instabilität Versorgungsrisiken mit sich. So entfallen derzeit beispielsweise mindestens 23% der laufenden Ölförderung auf Länder, die aktuell mit US-Sanktionen belegt sind.4  Die verschiedenen Länder könnten in einen Wettbewerb um Ressourcen treten, beispielsweise um die für die Energiewende benötigten Produktionsmittel, was die Preise in die Höhe treiben und den Deglobalisierungsprozess weiter verstärken kann. 

Gold könnte sowohl als Risikoabsicherung in einem weniger stabilen Umfeld als auch aufgrund der Abschwächung des Reservestatus des US-Dollar von der Entwicklung profitieren. Tatsächlich ist die Nachfrage der Zentralbanken nach Gold im vergangenen Jahr auf ein Rekordhoch gestiegen, was möglicherweise auf eine Diversifizierung der Reserven weg vom US-Dollar und vom Euro nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine zurückzuführen war.

US-Stahlunternehmen liefern ein gutes Beispiel für die aktuelle Dynamik am Rohstoffmarkt. Der verstärkte Bau von Produktionsanlagen und die Konzentration der Kunden auf eine heimische Lieferkette stützen derzeit die US-amerikanische Stahlnachfrage. Unterdessen wurden aufgrund geopolitischer Sorgen Einfuhrzölle verhängt, sodass Engpässe nicht durch höhere Importe gemindert werden können. Dementsprechend ist die heimische Stahlindustrie in der Lage, hohe Gewinnmargen zu erzielen.

Industrieunternehmen, z.B. Maschinenbau- und Bauunternehmen, könnten ebenfalls von inländischen Infrastrukturausgaben und Onshoring-Initiativen profitieren. Nach einer längeren Abschwungphase sind die Kapazitäten begrenzt, und die steigende Nachfrage könnte zu Engpässen und erheblicher Preissetzungsmacht führen. Auch Dienstleister, die Maschinen an diese Unternehmen vermieten, könnten von der Entwicklung profitieren. Gleiches gilt für den Schienenverkehr, da das Transportaufkommen zwischen den inländischen Produktionsstandorten zunimmt.

Diese Trends könnten sich positiv auf Bereiche wie Automatisierung und Personaldienstleistungen auswirken. Der Rückgang der Zuwanderung und der verstärkte Wunsch nach lokaler Produktion könnten zu einer Verknappung von Arbeitskräften führen. Dies wiederum könnte die Nachfrage nach Expertise im Personalbereich erhöhen und im Zuge des Anstieg der Löhne dazu führen, dass Arbeitskräfte im Rahmen von Automatisierungsmaßnahmen ersetzt werden.  

Die Deglobalisierung hat begonnen

Angesichts des Zusammenwirkens politischer und wirtschaftlicher Faktoren ist es sehr wahrscheinlich, dass sich diese Trends fortsetzen werden. Allerdings dürfte die Entwicklung in Zukunft immer wieder unerwartete Wendungen nehmen, und je nach Zyklusphase werden sicherlich unterschiedliche Sektoren und Unternehmen von der sich verändernden Marktdynamik profitieren. Aber ganz gleich, wie die Deglobalisierung letztendlich verläuft: Wir sind davon überzeugt, dass sie das Marktgeschehen in Zukunft maßgeblich beeinflussen wird. 

1Internationaler Währungsfonds, 2023. | 2Global Trade Alert, 2023. | 3Stand: 2022, im Vergleich zum Niveau vor der Pandemie. Internationaler Währungsfonds. | 4Internationale Energieagentur, 2023. 

Experte

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